Interview mit Paulo Rosado, CEO und Gründer von OutSystems Was hilft gegen technische Schulden?
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Unternehmen in Deutschland und der ganzen Welt häufen massiv technische Schulden an, das sind weitreichende Software-Fehler, die mit der Zeit immer mehr ins Gewicht fallen. Wir haben Paulo Rosado, CEO und Gründer von OutSystems, befragt, wie Unternehmen diese technischen Schulden verringern oder gar vermeiden können.

CloudComputing Insider: Technische Schulden beziehungsweise „Technical Debt“ bezeichnen technische Design- oder Entwicklungsentscheidungen, die nur einen kurzfristigen Nutzen mit sich bringen, dafür aber langfristige, unerwünschte Konsequenzen. Für wie dringlich erachten Sie das Problem?
Paulo Rosado: Wenn wir zwanzig Jahre zurückblicken, dann wurden damals Produkt-Lifecycles von üblicherweise fünf bis sieben Jahren als normal erachtet. Alles hat sich deutlich beschleunigt, dadurch entstehen technische Schulden auch viel schneller. Code wird heute innerhalb weniger Jahre, manchmal auch innerhalb weniger Monate zur Legacy.
Neue Technologien wie etwa Container und Microservices haben also nicht geholfen, Code besser im Sinne von „fehlerfreier“ zu schreiben?
Rosado: Das sehe ich ambivalent. Container und entsprechende Technologien brechen Code in viele kleine Teile auf, die jeweils für sich gewartet beziehungsweise überarbeitet werden können. Das ist einerseits gut. Andererseits verschiebt sich damit das eigentliche Problem nur in die Peripherie, und Sie haben jede Menge damit zu tun, diese vielen verschiedenen Funktionen beziehungsweise Microservices zu orchestrieren und zu managen. Wirklich einfacher ist es für Software-Entwickler nicht geworden, auch nehmen die technischen Schulden dadurch eher nicht ab.
Aus welcher Art von Fehlern resultieren technische Schulden?
Rosado: Da sehe ich vier Kernaspekte: Das Business fordert immer schneller und immer mehr Funktionen und Services ein. Dadurch wächst der Software-Stack im Unternehmen geradezu explosionsartig. In einem wachsenden Software-Stack nehmen die Abhängigkeiten exponenziell zu. Das Verständnis für diese Abhängigkeiten wird zunehmend problematisch, die technischen Schulden wachsen fast automatisch. Der letzte Punkt ist vielleicht etwas erklärungsbedürftig: Unserer Erfahrung nach wechseln Entwickler mittlerweile schnell ihre Projekte und ihre Arbeitgeber. Das können sie, weil sie sehr gefragt sind. Verlässt ein Programmierer ein Unternehmen, nimmt er in nicht wenigen Fällen sein Wissen mit, er hinterlässt „Software-Waisen“. Das komplette System wird eingefroren, die technischen Schulden wachsen, weil das System typischerweise alle drei Monate etwa überarbeitet werden müsste usw.
Open Source hilft hier nicht? Quelloffene Software sollte es Entwicklern doch einfacher machen, sie zu durchschauen und an ihr weiter zu basteln, oder nicht?
Rosado: Leider nein. Auch quelloffene Software muss ja ständig überarbeitet werden, der Lifecycle einer typischen Open Source Software beträgt auch nur zwei Jahre.
Schüler und Studenten werden in Deutschland schon seit geraumer Zeit dazu angehalten, programmieren zu lernen. Bekannte Mediengrößen rufen dazu auch im Fernsehen auf. Im Prinzip soll jeder künftig selber Code schreiben können. Halten Sie das für eine gute Idee?
Rosado: Prinzipiell ja. Es geht gar nicht mal so sehr darum, eine spezifische Sprache zu lernen, vielmehr ist es wichtig, dass den Schülern und Studenten Problemlösungsfähigkeiten mitgegeben werden. Ein großes Problem wird dabei in viele kleine aufgelöst, die jedes für sich einfach zu lösen sind. Allein diese Art von Denke ist schon sehr hilfreich. Wir benötigen diese Skills in der Software-Industrie.
Können „No Code“-Plattformen, also Programmier-Programme, bei denen der Anwender keine Programmiersprache mehr beherrschen muss, technische Schulden verringern?
Rosado: Lassen Sie es mich so formulieren: Ein simples Tool kann keine komplexen Probleme lösen. Es mag ausgereifte No-Code-Plattformen geben, aber die meisten sind zu einfach gestrickt. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man doch „echten“ Programmiercode anfassen muss. Anders gesprochen: Auch „No Code“ wird irgendwann Legacy und Sie müssen damit umgehen.
Stichwort Low Code – wie betrachten Sie Low-Code-Plattformen? Können die bei der Lösung des Schulden-Problems helfen?
Rosado: Auch hier ist meine Antwort ambivalent: Verantwortliche im Unternehmen müssen sich die entsprechende Plattform genau ansehen. Weit entwickelte Systeme mögen hilfreich sein, viele sind es eher nicht und vergrößern das Problem. Leider gilt auch hier: Es kommt darauf an…
Die Antwort Ihres Unternehmens Outsystems auf das Problem der technischen Schulden lautet „visual, model-driven development, AI-powered tools that improve the entire application lifecycle, and a cloud-native platform“. Können Sie Ihre Lösung für unsere Leser näher beschreiben?
Rosado: Unsere Lösung besteht im Wesentlichen aus drei Teilen: Erstens eine visuelle, modellgesteuerte Entwicklungsumgebung, die zweitens den gesamten Lebenszyklus von Applikationen vereinfacht und Dinge wie etwa die Automatisierung von Funktionen vornimmt, sowie drittens eine KI-basierter Unterstützung, etwa wenn es um das Testen und Prüfen von Anwendungen geht. Das beschleunigt die Entwicklung ungemein. Die Anwendungen sind dabei von der Runtime abgekoppelt und können so einfach überarbeitet werden. Unterm Strich kann unsere Plattform Apps mit einer langen Laufzeit generieren, die noch dazu leicht zu verschieben sind.
Sollten Anwender – aus welchen Gründen auch immer – nicht bereit sei, Ihre Plattform einzusetzen – wie können Sie auch ohne sie ihre technischen Schulden verringern?
Rosado: Das ist schwierig. Wenn Sie eine Firma mit einem Heer an Programmierern sind, eine Google etwa oder ein Facebook, dann können Sie es sich leisten, dieses Heer auf die Anwendungen anzusetzen. Diese müssen ja im Schnitt alle zwei Jahre etwa überarbeitet werden. Haben Sie kein Heer an Entwicklern – was wenig erstaunlich ist, ist der Markt dafür doch praktisch leergefegt –, dann werden Sie viele technische Schulden bekommen. Eine Entwicklungsplattform ist daher praktisch alternativlos, weil die Automatisierung der Software-Entwicklung alternativlos ist.
Paulo Rosado gründete OutSystems im Jahr 2001, davor war er Mitbegründer von Intervento, einem Unternehmen für Software-Infrastruktur für den E-Business-Bereich. Darüber hinaus hat er für Oracle Corp gearbeitet, wo er mehrere Positionen im Bereich Forschung und Entwicklung sowie im Produktmanagement innehatte. Rosado besitzt einen Master in Computer Science der Stanford University sowie einen Abschluss in Computer Engineering der Universidade Nova, Lissabon.
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