Gastkommentar Führung Was bedeutet Karriere in einer agilen Organisation?
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Viele Unternehmen definieren Karriere primär über Führungsspannen, Budget- oder Ergebnisverantwortung. Agile Vorgehensmodelle, in denen die Verantwortung für den Projekterfolg das Team trägt, gehen damit jedoch nicht konform. Welche Karriereoptionen ergeben sich also in einer agilen Organisation?

Digitalisierung, verändertes Konsumentenverhalten und globaler Wettbewerb fordern Unternehmensagilität und konsequent darauf ausgerichtete Organisationen. In vielen Fällen sind die derzeitigen Strukturen zu starr und hierarchisch und damit zu langsam. Dies betrifft alle Dimensionen der Organisation: die Aufbauorganisation und Führungskultur, aber auch die Personalentwicklung, auf die sich dieser Beitrag fokussiert.
Die meisten Organisationen haben erste agile Projekte umgesetzt, oder Agile bereits in größerem Umfang etabliert. Es ist zu erwarten, dass der Anteil agiler Projekte weiter wachsen wird. Viele sehen Agile sogar zukünftig als das dominierende Vorgehensmodell. Die Vorteile liegen auf der Hand und sind vielfach bestätigt.
Erfreulicherweise ist die Zufriedenheit der meisten an agilen Projekten Beteiligten deutlich höher als bei klassischen Vorgehensweisen. Das ist wenig überraschend, denn interdisziplinäre selbstorganisierende Teams sind die Kraftzelle von Agile und der Schlüssel zum Erfolg. Auch Sie haben sicherlich schon einmal im privaten oder beruflichen Leben erlebt, wie sehr die Freude an der Arbeit steigt, wenn alle mit „anpacken“, mitdenken und sich mit ihren Fähigkeiten voll zur Erreichung des gemeinsamen Ziels einbringen. So werden Herausforderungen gemeistert und Ergebnisse erzielt, die anders kaum zu erreichen gewesen wären.
Wie sehen die Karriemöglichkeiten aus?
In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage nach der langfristigen persönlichen Perspektive der an agilen Projekten Beteiligten – ihrer Karriere. Menschen möchten sich weiter entwickeln. Das betrifft natürlich die fachliche und persönliche Kompetenz. Aber auch der Wunsch nach einem Zuwachs an Geld, Status oder Macht treibt viele an. Alle diese Motive sind legitim, und so sind Unternehmen und CIOs gefordert, Antworten und Perspektive zu bieten, wenn der Schritt zu einer agilen Organisation gelingen soll.
Die persönliche und fachliche Weiterentwicklung in autonomen interdisziplinären Teams, die in einem kurzzyklischen Takt mit regelmäßigen Retrospektiven und kontinuierlicher Verbesserung agieren, funktioniert meiner Erfahrung nach in aller Regel sehr gut. Auf die Ziele einer Steigerung des persönlichen Status oder des Gehalts haben die agilen Modelle dagegen wenig Antworten.
Die bestehenden Entwicklungspfade der Unternehmen definieren Karriere primär über Führungsspannen, Budget- oder Ergebnisverantwortung. Die Führungskraft hat darin die Aufgabe, Mitarbeiter im Hinblick auf ein definiertes Ziel anzuleiten. Sie oder Er ist unmittelbar für diese Ergebnisse verantwortlich. Daraus ergibt sich die Legitimation der „Weisungsbefugnis“ und eine hierarchisch strukturierte Organisation. Dass dies mit einem agilen Vorgehen nicht konform geht, wird unmittelbar klar, wenn man sich die Verantwortlichkeiten der Beteiligten eines Scrum Projektes als der am weitesten verbreiteten agilen Methodik anschaut.
Der Product Owner trägt die Verantwortung für die Ausgestaltung des Produktes und des Budgets. Die Umsetzung allerdings liegt in Verantwortung des autonomen Entwicklungsteams. Der Scrum Master verantwortet den Scrum Prozess. Jede der Rollen ist in ihrer Verantwortung autonom. Nur gemeinsam, in einem kollaborativen Prozess, werden Ergebnisse erzielt. Die Verantwortung dafür trägt das gesamte Team, nicht eine Einzelperson.
Welche Karriereoptionen ergeben sich in einer agilen Organisation?
Welche Karriereoptionen ergeben sich also in einer agilen Organisation? Ein Mitglied des Entwicklungsteams wird relativ schnell neben seiner originären Kernkompetenz etwa als Analyst, Tester oder SW-Entwickler auch Kompetenzen in den anderen Bereichen erwerben. So wird der Mitarbeiter in der Lage sein, immer mehr zum Erfolg des Teams beizutragen und gemeinsam mit dem Team größere Herausforderungen effektiver zu bewältigen. Mit einiger Erfahrung wird Sie oder Er womöglich in ein neues Team wechseln und das erworbene Wissen und die Erfahrung an andere Kollegen weitergeben und weiter ausbauen.
Eine weitere Möglichkeit wäre es, in die Rolle des Scrum Masters zu wechseln und sich nicht mehr auf das technisch/inhaltliche sondern auf Prozess und Moderation zu fokussieren. Eine Entwicklung zum Product Owner mit Business Orientierung könnte eine weitere Perspektive sein.
In jeder dieser Rollen ist ein persönliches Wachstum möglich; größere und komplexere Projekte oder Programme, neue Technologien und Geschäftsfelder sind nur einige Faktoren, die stetige Herausforderungen bieten. Auch für die Entwicklung in Richtung einer Managementposition ist die Tätigkeit in agilen Teams eine hervorragende Vorbereitung, da hier das kollaborative und kommunikative Rüstzeug erworben wird, um als Facilitative Leader agile Organisationen zu führen.
Auch das Management ist gefragt
Denn auch in agilen Organisationen gibt es natürlich ein Management. Dieses trägt Verantwortung für die Formulierung klarer Visionen, Strategien und daraus abgeleiteter Ziele. Es hat aber nicht die Aufgabe, Teams bei ihrer Aufgabe operativ direkt anzuleiten. Die wesentliche Aufgabe des Managements in agilen Organisationen besteht darin, die Voraussetzungen für den Teamerfolg zu schaffen. Dazu gehört Personaleinstellung und -entwicklung sowie Konfliktmanagement. Allerdings sind agile Organisationen sehr schlank und der Anteil der Managementpositionen ist deutlich reduziert.
Die Organisation ist nun gefordert, die persönliche Entwicklung in diesen Rollen auch in Karrierepfade umzusetzen und mit entsprechenden Weiterbildungs- und Vergütungssystemen zu verknüpfen. Auch und gerade für Mitglieder der Entwicklerteams muss es eine Entwicklungsmöglichkeit bis zum obersten Level geben. Diese dürfen nicht nur den singulären Rollen Scrum Master oder Product Owner oder Managementpostionen vorbehalten sein. Ein solcher Entwickler auf Vice President Ebene beherrscht ein breites Portfolio an Technologien und ist in der Lage, als Mitglied der Entwicklerteams komplexe Lösungsarchitekturen zu entwickeln und umzusetzen.
Die Entwicklungspfade müssen dabei durchlässig sein und einen Rollenwechsel erlauben. Denn Karriere in agilen Organisationen ist agil und nicht linear. Mitarbeiter bringen sich mit ihrer Kompetenz und Erfahrung entsprechend den sich dynamisch ändernden Anforderungen an die Organisation ein. Ein Wechsel aus einer Managementposition in ein Entwicklungsteam würde heute in aller Regel einen signifikanten Rückschritt in der Karriere bedeuten.
In einer agilen Organisation darf dies nicht der Fall sein. Derartige Denkstrukturen schaffen keinen Wert für die Organisation. Genauso wie das Backlog eines Projektes nach geschäftlicher Priorität sortiert wird, erfolgt auch der Personaleinsatz an der Stelle, der im dynamischen Umfeld der Organisation den Wertbeitrag des Einzelnen zum Gesamterfolg maximiert.
Das wird nur gelingen, wenn neben den Instrumenten und Strukturen der Personalentwicklung auch die agilen Werte etabliert und insbesondere vom Management voll angenommen und glaubwürdig vorgelebt werden. Dies ist in den meisten gewachsenen Strukturen eine radikale Veränderung. Sie ist aber notwendig, wenn Organisationen schnell und agil sein müssen, um im Wettbewerb zu bestehen.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf unserem Schwesterportal Elektronikpraxis.de erschienen.
* Stefan Sack leitet seit 2012 das Agile Competence Team bei Capgemini.
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