Migrieren oder neu entwickeln Über Sinn und Unsinn von Altanwendungen in der Cloud
Viele Unternehmen verfügen über altbewährte Anwendungen, die nun modernisiert und als Cloud-Services bereitgestellt werden sollen. Stellt sich die Frage: Sollte man diese alte Anwendungen Cloud-fähig machen – oder besser gleich neue Applikationen für die Cloud entwickeln? Wir haben nachgefragt.
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Praktisch jedes Unternehmen steht, wenn es sich einmal für den Einsatz einer wie auch immer gearteten Cloud entschieden hat, vor der Frage: Wollen wir unsere bestehenden Anwendungen in eben diese Cloud migrieren – oder uns lieber nach einer Cloud-Lösung von der Stange, gerne als SaaS, entscheiden?
Dieser Frage sehen sich IT-Abteilungen weltweit gegenüber, die entsprechenden Diskussionen laufen erfahrungsgemäß teils sehr hitzig ab. So mancher Entwickler hängt an „seinem“ Baby, Cloud-Evangelisten raten aber nicht selten zu „reinrassigen“ Lösungen. Als dritte Alternative bietet sich eine Neuentwicklung von Anwendungen für die Cloud an.
Das sagen Analysten
Wir haben bei den bekannten Analystenhäusern nachgefragt. Wozu raten sie? Naturgemäß „kommt es wie so oft im Leben darauf an“, erklärt Heiko Henkes, Director Advisor der Experton Group. Es gelte, verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. In der Regel aber, so der Analyst, sollte man sich nicht zu schnell von seiner einmal etablierten Lösung verabschieden
„Sofern die Anwendung primär für den intern Gebrauch konzipiert wurde, also wenig externe Parteien aus unterschiedlichen Domänen bzw. Systemen zugreifen, und die Anforderungen hinsichtlich Lastaufkommen relativ stabil verlaufen, sowie der Anwenderkreis verhältnismäßig homogen hinsichtlich der Anforderungen an die ‚App‘ ist, der primär stationäre Zugriff ausreicht und kurz- bis mittelfristig wenig Innovationen im Dunstkreis dieser ‚App‘ zu erwarten sind, lohnt eine Migration in den meisten Fällen“, so Henkes. Je nachdem wie alt die App ist, sei eine Migration allerdings nur als temporäre Lösung für zwei bis fünf Jahre zu sehen.
Auf der anderen Seite könne eine Neuentwicklung langfristig Kosten sparen, eine erhöhte Agilität fördern, den Eintritt in neue digitale Ökosysteme erlauben und auch Sicherheitslücken schließen. „Zudem kann ein neues System mit verbesserter Usability die Produktivität beziehungsweise die Zufriedenheit der Mitarbeiter erhöhen“, gibt Henkes zu bedenken.
Ein weiterer Grund, der für eine Neuentwicklung spreche, sei das Problem der Portabilität. Diese sei bei alten Anwendungen selten gegeben, so dass sich die Anwender in einer Art Lock-in wiederfänden. „Sandboden- und App-Virtualisierungsmechanismen sind meist nur temporäre Lösungen. Außerdem können moderne IaaS/PaaS-Container ihre Muskeln zur vereinfachten Migration nicht richtig spielen lassen“, so Henkes.
Evaluation der Service- und Businessprozesse
Natürlich dürfe nicht ins Blaue hinein entwickelt werden, falscher Enthusiasmus könne schnell bestraft werden: „Die Neuentwicklung sollte eine neue Evaluation der Service- und Businessprozesse entlang eines ITSM vorsehen. Ohne die Zusammenstellung eines Kompetenzteams im Vorfeld gehe das prinzipiell nicht. Auch müsse berücksichtigt werden, inwieweit die Entwickler des Altsystems und deren Wissen noch greifbar sind. Wenn diese beiden Posten vernachlässigt bzw. nicht greifbar seien, könnten Projektkosten schnell explodieren.
Welche Anwendungen sollten also beibehalten werden, welche neu entwickelt? Matthias Zacher, Senior Consultant bei IDC, rät natürlich ebenfalls zu einer differenzierten Sichtweise, bei Business-Software und Infrastrukturlösungen müssten die jeweiligen Besonderheiten beachtet werden. Generell gelte aber: „Kundenorientierte Anwendungen und Collaboration-Lösungen sind in der Lage, sehr viele Anforderungen von Unternehmen im Standard abzudecken. Auch mit ERP aus der Cloud sowie weiteren Business-Lösungen lassen sich viele Szenarien abdecken.“
Erst wenn der Markt keine Standard-Lösungen bietet, sollten Unternehmen neue Anwendungen für die Cloud entwickeln. Und sich folgende Fragen stellen: Welchen Stellenwert besitzt die Mobility im konkreten Fall? Auch sollten die Prozessketten mit Lieferanten und Partnern genau betrachtet werden. Eine weitere wichtige Frage, die sich IT-Verantwortliche stellen sollten, lautet: Inwieweit kann die eigene IT vor einem Horizont von fünf Jahren noch in Ökosystemen mitspielen?
Zukunftsorientierte IT-Systeme - ohne Cloud undenkbar
Zacher gibt weiter zu bedenken, dass zukunftsorientierte IT-Systeme zwangsläufig den Einsatz von Public und Private Cloud Services erfordern, um den Anforderungen nach Flexibilität, Effizienz und geringeren Kosten zu entsprechen. „Modernisieren oder aufbohren vorhandener Lösungen ist möglicherweise eine Option. Aber immer unter Berücksichtigung der Kosten, des Wartungsaufwands, der Mitarbeiter mit dem erforderlichen Wissen und teilweise auch der Hardware.“
Aus Infrastrukturperspektive ergebe sich folgendes Bild: Eine flexible Nutzung von IT-Ressourcen setze eine hohe Integrationsfähigkeit aller Lösungselemente und Services voraus, so der Analyst. Anwender benötigten daher immer häufiger Lösungen, die eine hohe Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Anbieter-Ökosystemen ermöglichen. „Für die Unternehmen sind Ansätze wie Entkopplung, Modularisierung, Container oder Micro-Services hochinteressant. Hier sind folgende Varianten eine Überlegung wert: Private Clouds, Software-definierte Infrastrukturen oder externe Provider, die eine entsprechende Infrastruktur beziehungsweise Plattformen anbieten.“
Der Nutzen liege auf der Hand: Die IT-Landschaft bewege sich von einer hardware-orientierten Infrastruktur, deren Komponenten für den jeweiligen Workload nach den Kriterien Leistungsfähigkeit, Performance, Ausfallsicherheit, Kosten und Bedienungskomfort ausgewählte wurde, hin zu einer Hardware, die nicht mehr starr an einen Workload gekoppelt sei, sondern die flexibel an nahezu jede Situation im Unternehmen angepasst werden könne.
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