Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser Tokenisierung 2.0 – Vermögen und Daten „anketten“
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Unternehmen suchen neues Potenzial für die datengetriebene Wertschöpfung aus „digitaltransformierten“ Produkten und Dienstleistungen, mehr Effizienz in ihren Geschäftsabläufen und mehr Kontrolle über Datenflüsse. Regulierungsbehörden wollen nicht länger ein Auge zudrücken. Krypto-Börsen wie Binance bekommen es zu spüren.

Mitte Juli hat Binance im 16. vierteljährlichen Burn-Event BNB-Token im Wert von 400 Millionen Dollar vernichtet. Die Märkte scheint es nicht zu interessieren. Denn für Binance wie auch andere Krypto-Börsen zeichnet sich seit Monaten ein Wechsel der regulatorischen Großwetterlage ab. Am Freitag, 16. Juli, hat Binance den Verkauf von digitalen Aktientoken eingestellt, um sich die Finanzaufsichtsbehörde von Hongkong vom Hals zu halten.
Sorgen über den fehlenden Verbraucher- und Investorenschutz bei DeFi-Startups hatten im Laufe der vergangenen Monate den Amtsschimmel diverser Länder auf den Plan gerufen. Als eine der größten Plattformen der Welt geriet hierbei vor allem Binance ins Visier. Das Management hat kalte Füße gekriegt und von dem Experiment mit Aktientoken den Stecker gezogen.
Die „Tokenisierung“ von Vermögenswerten ist dennoch in vollem Schwung. Inzwischen wandern nicht nur Vermögenswerte an die Blockchain, sondern auch Daten.
Die NBA (National Basketball Association) hatte sich mit dem kanadischen Unternehmen Dapper Labs, dem Herausgeber des Crypto-Spiels CryptoKitties, zusammengetan, um ihre Version eines digitalen Sammelobjekts zu verwirklichen. Unter dem Markennamen NBA Top Shot entstand ein digitales Krypto-Sammelobjekt als ein nicht-fungibles Token (NFT) mit Video-Highlights von NFL-Spielern.
Jedes Sammlerstück verfügbar über ein kryptografisches Echtheitszertifikat und ist an die Flow-Blockchain von Dapper gebunden. Selbst wenn also jemand eine perfekte Kopie des Highlight-Videos anfertigen sollte, lässt sich diese als eine Fälschung erkennen.
Sportfans haben für diese NFTs mehr als 230 Millionen Dollar ausgegeben, hauptsächlich auf dem sekundären Markt; Dapper bekommt von jeder dieser P2P-Transaktionen eine Kommission.
Das neue Öl
In Krisenzeiten wie eben in der COVID-Pandemie – von Naturkatastrophen ganz zu schweigen – tragen die Unternehmen eine ganz besondere Verantwortung für datengetriebene Entscheidungen mit Weitsicht.
In den Messwerten aus der IoT-Sensorik und in anderen Daten der Digitalen Transformation schlummert ein ungeahntes Potenzial für mehr Effizienz, mehr Nachhaltigkeit und weniger Verschwendung am Bedarf vorbei.
Doch zwischen dem Datenreichtum der Digitalisierung und dem Gebot der Datensparsamkeit ging für Unternehmen bereits mit der DSGVO eine Kluft auf.
Daten sind das neue Öl. Doch wenn das „neue Öl“ an den Ursprungsstandort gebunden ist, stottert der Fortschritt an allen Enden und Ecken. Datenschutzrichtlinien und verwandte Gesetzgebung haben Unternehmen an dem Austausch von Messwerten aus IoT-Elektronik sowie anderen Daten bisher aktiv gehindert. Es sind neue technische Lösungen vonnöten, um die Kluft zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand zu überbrücken und die Einhaltung regulatorischer Compliance-Auflagen zum Erhalt der Datenhoheit dennoch zu gewährleisten.
„Wenn Sie alle relevanten Daten beschaffen, schnell analysieren, daraus verwertbare Erkenntnisse gewinnen und diese in die operativen Systeme einspeisen können, dann können Sie Ereignisse beeinflussen, während diese noch in Entstehung begriffen, sind“, argumentiert Paul Maritz, Vorstandsvorsitzender von Pivotal Software. Die Fähigkeit, Menschen oder Dingen „mitten im Geschehen“ zu begegnen, um das Endergebnis zu beeinflussen, könne aus seiner Sicht „außerordentlich wichtig sein.“
Krypto-Token, die Geheimwaffe eines Blockchain-Ökosystems, können den technologischen Unterbau für den zeitnahen Datenaustausch schaffen.
Bei einem Token ist im Blockchain-Kontext von einer Krypto-Marke die Rede, also von einer kryptografischen Entität, welche konkrete Berechtigungen im Ökosystem der betreffenden Blockchain-Anwendung vertritt. Ein Token entsteht durch das Ausführen eines smarten Vertrages.
Datenwirtschaft auf der Blockchain
Mit der wachsenden Verbreitung der „blockchainerisierten“ Kontoführung nimmt die Tokenisierung von Vermögensklassen aus der realen Wirtschaft an Fahrt auf. Die Liste bewährter Einsatzszenarien wird immer länger (siehe dazu auch den Artikel „(Alt)coins, Token & Co. – die Geheimwaffen einer Blockchain-Plattform“).
Token können Vermögenswerte übertragen, wirtschaftliche Anreize für die Beteiligung am Netzwerk schaffen und als eine Investitionsanlage dienen. Die praktischen Nutzungsszenarien sind enorm, von physischen über digitale Güter bis hin zu Informationen lassen sich alle Aspekte der Realität dank der Tokenisierung auf der Blockchain abbilden und unter Kontrolle bekommen.
Krypto-Token schaffen Liquidität wie auch Anreize. Sie verschieben so die Stellhebel der Kontrolle zwischen verschiedenen Akteuren des Ökosystems oder sogar zwischen den Teilnehmern verschiedener Blockchain-Ökosysteme.
Daten-Token können eine von vier grundlegenden „Ausprägungen“ einnehmen:
- 1. Token zur Zugriffskontrolle auf Daten (Engl. security token): Diese Art von Token erlaubt die Beteiligung am Gewinn aus der Datenverwertung durch eine Zweckgesellschaft (SPV für Special Purpose Vehicle), die mit diesem Ziel im Auge zum Eigentümer der Daten gekürt wurde;
- 2. Daten-Nutzungs-Token (Eng. data utility token): Zugangskontrolle On-Chain (in der Kette): Die Daten selbst werden in „Tresoren“ (Engl. vaults) aufbewahrt und durch die Übertragung der zugehörigen Token zugänglich gemacht, um eine gemeinsame Governance durch unabhängige Wirtschaftsakteure zu ermöglichen;
- 3. Daten-NFT (Non-fungible Token, digitale Zertifikate der Authentizität): NFTs können geistiges Eigentum enthalten; nach demselben Prinzip können sie auch einen einzigartigen Satz von Daten erfassen und diesen handelsfähig machen.
- 4. Datenkorb-Token: Ein „Münzkorb“ aus verschiedenen Daten-Token (ähnlich einem Index) kann mit sofortiger Wirkung eine breit gefächerte Diversifizierung ermöglichen.
NFTs haben in diesem Jahr stark an Popularität gewonnen, unter anderem durch hochkarätige Transaktionen wie den rekordverdächtigen Verkauf des digitalen Kunstwerkes „Everydays: the First 5,000 Days“ des Digitalkünstlers Mike Winkelmann a.k.a. Beeple für 69,3 Millionen Dollar durch das Auktionshaus Christie´s. Ein CryptoPunk NFT, der Eigentumsnachweis für eine von rund 10.000 algorithmisch erzeugten digitalen Sammelfiguren des Unternehmens Larva Labs auf der Ethereum-Blockchain, ging für 8 Millionen USD über die sprichwörtliche Ladentheke.
Daten lassen sich als eine eigene Anlageklasse auf der Blockchain in DeFi-Anwendungen integrieren. Protokolle wie OCEAN machen dann die Verpfändung von Vermögenswerten (Staking) bzw. Verbriefung von Daten (Engl. Securitization) möglich. Blockchain-Ökosysteme wie OCEAN wollen den Wert von Daten durch die Tokenisierung erschließen.
Ocean-Datentoken verpacken Datendienste als ERC20-Token. Dateneigentümer und -verbraucher nutzen die Ocean Market App, um Daten zu veröffentlichen, zu analysieren und zu konsumieren. OCEAN-Inhaber sichern sich mit dem Netzwerk Liquidität für Datenpools. Entwickler verwenden Ocean-Bibliotheken, um ihre eigenen Daten-Wallets, Daten-Marktplätze und andere eigene Lösungen zu erstellen.
Crypto-Token unterstützen generell eine weitaus höhere Vielfalt praxisnaher Nutzungsszenarien als Coins auf ihren nativen Blockchains. Letzteres hängt damit zusammen, dass sich aus der engen Verzahnung einer Kryptowährung mit Vermögenswerten in der realen Wirtschaft über die Geschäftslogik von smarten Verträgen ein Mehrwert ergibt: die Fähigkeit, die physische Realität aus der Blockchain herauszusteuern. Hierbei ist von den sogenannten Utility-Token die Rede (also etwa „Nutz-Token“).
So hat beispielsweise die Lykke AG für seine Kunden eine Empfehlungs- und Treueplattform entwickelt, die sich Community-Token zu Nutze macht, die sich über ein ganzes Ökosystem hinweg übertragen lassen. Die Dezentralisierung erlaubt die Umsetzung allumfassender Loyalitätsprogramme. Für die Lykke AG und ihren Partner die Anwaltskanzlei MLL Meyerlustenberger Lachenal Froriep AG aus Baar stellte das regulatorische Umfeld eine mindestens genauso große Herausforderung wie die Technologie dar. Es galt sicherzustellen, dass sich die Loyalitätstoken nicht als ein Zahlungsmittel oder eine Anlageklasse klassifizieren lassen, sondern auf der Blockchain genauso funktionieren wie in der realen Wirtschaft. Die resultierende Lösung hat breite Nutzungsszenarien. Die tokenisierte Plattform von Lykke kann politische Kampagnen finanzieren, Gutschein-basierte Aktivitäten ermöglichen, Veranstaltungen mit Zugangspässen verwalten und viele andere ähnliche Aktivitäten via Token steuern.
Fazit
Token schaffen Anreizsysteme – ob mit oder ohne ein Zahlungsmittel. Die Entstehung einer „Datenwirtschaft auf der Blockchain“ soll Unternehmen den nötigen Spielraum verschaffen und gleichzeitig die lückenlose Konformität mit datenschutzrechtlichen Vorgaben sicherstellen.
Die nächste Phase auf dem Weg zum „anketten“ der Wirtschaft an die Blockchain dürfte den Einbezug von Patenten, Urheberrechten und nicht zuletzt IoT-Datenströmen miteinschließen.
Über die Autoren: Anna Kobylinska und Filipe Pereira Martins arbeiten für McKinley Denali Inc. (USA).
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