5 Fallstricke der Cloudifizierung Software-Transformation in die Cloud und wie sie gelingt

Von Dr. Matthias Laux *

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Alle reden über Digitale Transformation und die schöne Welt der Cloud – umso mehr, seit das Corona-Virus die Welt in Atem hält. Viele Veränderungsprozesse schienen vor einem Jahr noch weit weg, und wurden doch mit überraschender Geschwindigkeit nach vorne gebracht.

Von Null auf Hundert funktioniert selten: Die Softwareentwicklung ist das Herz jeder Softwarefirma und hat hohen Anteil an der digitalen Transformation der Anwender.
Von Null auf Hundert funktioniert selten: Die Softwareentwicklung ist das Herz jeder Softwarefirma und hat hohen Anteil an der digitalen Transformation der Anwender.
(Bild: © Elnur - stock.adobe.com)

In dem großen Spektrum, das sich hier aufspannen lässt, lässt sich jedoch feststellen, dass die Verlagerung von Anwendungsfunktionalitäten in die Cloud von dieser aktuellen Diskussion unabhängig betrachtet werden muss.

Nahezu alle Anbieter von Softwarelösungen, die schon recht lange am Markt präsent sind, kommen – gerade im Markt für den Mittelstand – aus einer Welt, in der sich die Kunden die Software herunterladen und lokal auf Rechnern oder, bei größeren Kunden, in einem Rechenzentrum installieren. Letzteres kann dabei selbst betrieben oder natürlich auch in verschiedenen Modellen eingekauft werden. Diese Welt ist schon seit längerem im Umbruch in Richtung von Cloud-Angeboten, die die bisherigen Lösungen ergänzen und anreichern oder auch komplett ersetzen können.

„Wir bringen unsere Software in die Cloud“ – das lässt sich aber auf einer Folie in PowerPoint relativ elegant als strategische Vision niederschreiben und ist auch ohne Zweifel der richtige Weg, um die Nutzung von Software nicht nur vom aufwändigen Betrieb derselben zu entkoppeln, sondern diese Nutzung vor allem überall und auf allen Endgeräten zu ermöglichen. Die praktische Umsetzung bietet dann aber doch einige Herausforderungen und Fallstricke, über man sich als Softwarehaus Gedanken machen muss.

1. Produkdesign und Produkt-Management neu erfinden

Software, die heute auf einem Server im Rechenzentrum („On-Premises“) läuft, kann nicht eins zu eins in die Cloud gehoben werden – das ist im Gegenteil sogar als Ziel oder Erwartungshaltung nicht sinnvoll. Vielmehr geht das darum, eine Vision für ein Lösungsangebot in der Cloud zu erstellen und dann den Weg dahin auszuarbeiten, eben über eine Transformationsstrategie, die einen graduellen Übergang mit einer Hybrid-Cloud-Strategie beinhaltet.

Das fängt oft schon mit dem User Interface an: Software aus der Cloud möchte man über verschiedenste Endgeräte (mit verschiedenen Fähigkeiten) typischerweise in einem Browser oder als App nutzen, dazu braucht es eine entsprechende Produktstrategie, die man auch für eine Modernisierung der Benutzerschnittstelle nutzen sollte. Noch weitreichender sind aber die Auswirkungen „unter der Haube“: eine Transformation in die Cloud ist ein Prozess, kein Big Bang.

Bewährte Software, mit denen Kunden oft jahrelang erfolgreich und zufrieden sind, wird sukzessive durch neue Funktionalitäten in der Cloud angereichert und erweitert, Features und Prozesse werden verlagert und dabei erweitert, so dass neue Möglichkeiten der Interaktion für die Anwender und auch deren Kunden entstehen. Mit einem solchen Hybrid-Cloud-Ansatz schafft man so durch eine Transformation in die Cloud neue Anwendungsfälle und Business Cases und treibt die digitale Transformation voran.

Hybrid Cloud bedingt aber eine ganz neue Denkweise im Produkt Design und im Produkt Management. Datenströme verändern sich und umspannen jetzt viele beteiligte Systeme, User Experience Design steht noch viel mehr im Mittelpunkt der Produktentwicklung, Produkte sind jetzt nicht mehr monolithisch, sondern immer mehr vernetzte Services. Dafür braucht es nicht nur die richtige Expertise, sondern vor allem den Mindset, um eine erhöhte technische Komplexität im Hintergrund für den Anwender in eine verbesserte User Experience und in ganz neue Möglichkeiten zu übersetzen, das eigene Business zu betreiben und weiter zu entwickeln.

Gerade im Bereich vernetzte Services gewinnt auch das Ökosystem für Partner immer mehr an Gewicht: komplexere Märkte und neue technische Möglichkeiten führen auch dazu, dass wohl kaum ein Softwarehaus den Anspruch erheben wird, alle Bedarfe für Kunden abzudecken. Umso wichtiger ist ein Denken in Partnerschaften, und gerade in der Cloud ist eine Integration von Partnerlösungen zur Anreicherung der Gesamtlösung von großer Bedeutung nicht nur für das Produkt Management.

2. Cloud ja, aber wie?

Eine neue Produktvision muss technisch umgesetzt werden. Dazu werden eine entsprechende Architekturstrategie und die richtige Expertise benötigt: Wie muss die Architektur für Cloud Anwendungen aussehen, wie bilden wir Hybrid Cloud technisch ab? Bauen wir selbst eine Cloud Infrastruktur für unsere Kunden auf oder nutzen wir vorhandene Angebote? Wie „verstecken“ wir die zusätzliche technische Komplexität so, dass der Anwender die Vorteile und Mehrwerte nutzen und genießen kann? Wie kann ich möglichst einfache Möglichkeiten für Partner bieten, mit unserem Angebot in der Cloud Daten auszutauschen?

Am Anfang muss eine klare Architekturvision stehen: Transformation in die Cloud ist eben nicht, die Software über einen Application Service Provider (ASP) als Hosting-Modell zur Verfügung zu stellen. Hier geht es darum, die technische Umsetzungsstrategie für die Produktvision zu entwickeln, was die Verwendung ganz neuer Architekturmuster und Technologien mit sich bringt: Nutzen wir nur Infrastruktur (IaaS) über Container oder auch Platform Services (PaaS) wie Datenbanken oder Serverless Computing? Wie stellen wir eine durchgehende Authentifizierung über eine vernetzte Cloud- und On-Premises-Welt sicher, wie fließen die Daten gesichert zwischen den verschiedenen Services einer Hybrid-Cloud-Lösung?

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Welche Cloud zum Einsatz kommt, ist natürlich ebenfalls eine grundlegende Entscheidung. Für den Einsatz einer der zahlreichen etablierten Anbieter am Markt gibt es da gute Argumente: als Softwareanbieter möchte man sich typischerweise auf das eigene Kerngeschäft konzentrieren, und da geht es um die Geschäftslogik, um die tiefgehende Expertise in der Anwendungsdomäne, um die Übersetzung dieser Expertise in eine einfach zu nutzende Softwarelösung für die Kunden, damit sich diese wiederum auf ihr eigenes Kerngeschäft konzentrieren können.

Die Anbieter von Cloud-Plattformen haben umfangreiche Expertise im Betrieb dieser Plattformen, die man zum eigenen Vorteil nutzen kann. Dazu gehören vor allem der sichere und hochverfügbare Betrieb mit großer Ausfallsicherheit, dynamische Skalierung der Rechenkapazität für wechselnde Lastprofile und auch Plattform-Funktionalitäten in der PaaS-Welt. Als Softwarehaus etwas Vergleichbares selbst auf die Beine zu stellen wollen, ist durchaus eine signifikante Herausforderung.

Eine konsequente Fokussierung auf Schnittstellen für Partner ist ebenfalls eine zentrale Fragestellung für die Architektur. Cloud-Technologie bietet sehr elegante Möglichkeiten der Vernetzung von Angeboten, die dadurch wiederum die tiefgehende Expertise in spezialisierten Bereichen im Rahmen einer umfangreicheren Gesamtlösung verfügbar macht. Dazu ist es notwendig, entsprechende APIs zu exponieren.

3. Kunden und Partner mitnehmen

Die Transformation des Software-Portfolios in die Cloud bietet für Kunden ein enormes Potenzial – dieses muss aber vermittelt werden. Bei den Anwendern gibt es verschiedene Gruppen. Einige sind seit Jahren mit einer Software vertraut und im Grunde zufrieden, weil der eigene Bedarf abgedeckt wird. Andere wünschen sich einige der angenehmen Features, die man von Smartphones und Tablets kennt, auch für die eingesetzte Software („My data, anywhere, anytime“). Wieder andere fordern aktiv genau die beschriebenen Möglichkeiten in der Cloud, um das eigene Geschäftsmodell dynamisch zu erweitern und neue Märkte zu erschließen, die nur damit funktionieren.

Die Transformationsstrategie muss daher diesen Kundenkreisen gerecht werden, was nur über einen modularen Ansatz möglich ist: neue Features werden in der Cloud angeboten, ohne deren Nutzung zu erzwingen. Im Laufe der Umsetzung der Transformation wird das Portfolio in der Cloud immer weiter angereichert, und die Kunden können die individuelle Bewertung dazu immer wieder aufs Neue treffen. Ab einem gewissen Punkt schwingt das Pendel dann um. Wenn das Angebot in der Cloud umfangreich genug ist, was die Funktionalitäten angeht, wird es zum führenden System werden, gerade auch im Neukundenbereich für die Kunden, die gleich mit einer Cloud-Lösung an den Start gehen wollen.

Auch im Verlauf einer Transformation in die Cloud ist es natürlich entscheidend, das Ohr am Puls des Kunden zu haben: dazu gehört die Vermittlung der eigenen Vision als Anbieter der Software und die Reflektion mit dem Markt, die frühzeitige Abstimmung mit den Kunden über die neuen Funktionalitäten in der Cloud (mit einem besonderen Fokus auf User Experience), und dann auch eine Schulungs- bzw. Migrationsstrategie auf verschiedenen Ebenen. Neue Möglichkeiten müssen vermittelt und durch die Kunden in ihre Abläufe integriert werden, neue User Interface Paradigmen (wie der Übergang zu einem Browser-basierten User Interface oder einer App auf dem Smartphone) müssen erklärt werden oder auch komplette Bereiche des Anwendungsportfolios mit ihren Daten in die Cloud migriert werden.

4. Die gesamte Organisation einbinden

Neben dem Blick nach außen auf Kunden und Partner ist im Rahmen einer Transformation in die Cloud der Blick nach innen ebenso wichtig: hier müssen die neuen Chancen und Möglichkeiten sowie die sich daraus ergebenden Veränderungen im Portfolio ebenso aufgegriffen werden – Transformation in die Cloud ist für ein Softwarehaus ein Prozess, der die gesamte Firma umspannt.

Im Vertrieb ändert sich durch das Portfolio die Vermittlung an den Kunden: ein modulares Portfolio mit Bausteinen in der Cloud und On-Premises muss Kunden und Interessenten erklärt werden, so dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden können. Dazu kommt oft noch eine Veränderung des kommerziellen Modells weg von Lizenz und Wartung hin zu Subskription, dies hat dann natürlich wieder Auswirkungen auf die Finance Abteilung was Umsatzplanung und Controlling angeht.

Der Support wird neue Fragestellungen der Kunden bekommen, die beispielsweise Cloud-Komponenten betreffen, die vom Softwareanbieter betrieben werden, in Kombination mit On-Premises-Komponenten, die beim Kunden lokal installiert sind. Hier erhöht sich die Komplexität da auch weitere Partner im Spiel sind (neben dem Anbieter der Cloud-Plattform auch beispielsweise über Schnittstellen angebundene Partnerlösungen).

Im Marketing ändert sich die Kommunikation hin zur Vermittlung der Vorteile und Möglichkeiten der Cloud-Angebote sowie einer Hybrid-Cloud-Strategie. Ein wichtiger Baustein hier sind auch die zusätzlichen Möglichkeiten, die sich durch die Anbindung von Partnerlösungen ergeben, um das Lösungsportfolio signifikant anzureichern.

IT und Operations müssen sich auf neue Technologien einstellen und entsprechende Fähigkeiten ausbilden. Auch wenn man mit einem Cloud-Anbieter arbeitet und dessen Expertise nutzt, so ist es doch notwendig, dass die Software in der Cloud auch sicher, skalierbar, und mit hoher Verfügbarkeit betrieben wird, denn Software in der Cloud ist anderen Angriffsvektoren ausgesetzt als dies On-Premises der Fall ist.

Außerdem ist die Erwartungshaltung der Kunden an die Verfügbarkeit heutzutage auch geprägt von den Erfahrungen mit der privaten Nutzung des Internets: wann konnte man zum letzten Mal bei Amazon nicht bestellen, weil die Server nicht verfügbar waren? Wann war Gmail zum letzten Mal down? Ohne eine Strategie für Hochverfügbarkeit und Desaster Recovery kann man als Anbieter von Software dieser Erwartungshaltung nicht gerecht werden.

5. Und wie bauen wir diese Software?

Die Softwareentwicklung ist das Herz jeder Softwarefirma, denn hier entstehen die Produkte und hier muss durch die richtigen Vorgehensweisen, Strukturen und Prozesse diese Transformation in die Cloud getragen und im Portfolio umgesetzt werden.

Besonders wichtig ist es, die Entwicklungsorganisation als Ganzes zu betrachten. Eine Denkweise in Silos ist einer Veränderung abträglich und gerade weil es ein bestehendes On-Premises-Portfolio gibt und im Rahmen der Transformation neue Angebote in der Cloud aufgebaut werden – und diese dann wiederum zu Hybrid-Cloud-Lösungen integriert werden – ist auch nur eine integrierte Betrachtungsweise über das Portfolio zielführend.

Vereinheitlichung bzw. Harmonisierung ist hier die Methode der Wahl um diverse Probleme zu vermeiden. Hier kann ein gemeinsamer Entwicklungsprozess mit gemeinsamer Toolchain für Anforderungsmanagement, Build & Integration, Quality Assurance und Source Code Verwaltung eine große Vereinfachung möglich machen, insbesondere wenn diese mit einer gemeinsamen Entwicklungstaktung für alle Teams verbunden wird.

Beim Entwicklungsprozess selbst ist sicherlich agile Entwicklung die Methode der Wahl, wobei für eine Einführung oder Weiterentwicklung je nach Größe und Reifegrad der Organisation auch auf externe Expertise zurückgegriffen werden sollte, gerade wenn die Ergebnisse vieler Entwicklungsteams aufeinander abgestimmt werden müssen. Hier wird auch deutlich, dass eine intensive Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Produkt Management und Entwicklung von höchster Bedeutung ist.

Eine solche Transformation kann sehr tiefgreifende Veränderungen in eine Organisation tragen, umso wichtiger ist, es die Gründe und die angestrebten Vorteile immer wieder zu vermitteln und dann aber auch die Teams intensiv zu begleiten und nicht mit dem Change-Prozess alleine zu lassen. Dabei hilft es, sich auch die Erfolge zu vergegenwärtigen, die sich nach und nach einstellen.

Migrationsprozess mit Stellschrauben

Dr. Matthias Laux, Wolters Kluwer Tax & Accounting Deutschland.
Dr. Matthias Laux, Wolters Kluwer Tax & Accounting Deutschland.
(Bild: carinakircher.de)

Die Transformation eines Portfolios in die Cloud ist ein extrem spannender Prozess, der diverse Fallstricke beinhaltet – aber durch sorgfältige Planung und Betrachtung der Risiken und Unwägbarkeiten kann man ihn sehr erfolgreich gestalten. Es wird nicht alles auf Anhieb funktionieren und es muss immer wieder nachgesteuert werden, aber wenn die Vision und die Motivation dafür klar und verstanden ist, wenn die Veränderungen ambitioniert aber doch behutsam durchgeführt werden, so dass möglichst alle Beteiligten mitgenommen werden, und wenn durch kontinuierliches Feedback von innen und außen und Selbstreflektion der Prozess verbessert wird – dann entsteht etwas Großartiges für die Kunden und für das Unternehmen selbst.

* Der Autor Dr. Matthias Laux ist Head of Software Development bei Wolters Kluwer Tax & Accounting Deutschland.

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