Automotive-Architektur Offene Software- und Hardware-Architektur für Fahrzeuge

Von Johann Wiesböck Lesedauer: 6 min

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Universitäten und Automobilentwickler wollen im Projekt AUTOtech.agil eine offene Architektur für intelligente und vernetzte Fahrzeuge definieren. Standardisierung von Schnittstellen und Modularisierung stehen im Vordergrund.

Professor Lutz Eckstein: Der Gesamtkoordinator des Projektes AUTOtech.agil ist Leiter des Instituts für Kraftfahrzeuge (ika) der RWTH Aachen University.
Professor Lutz Eckstein: Der Gesamtkoordinator des Projektes AUTOtech.agil ist Leiter des Instituts für Kraftfahrzeuge (ika) der RWTH Aachen University.
(Bild: Institut fuer Kraftfahrzeuge, RWTH Aachen University)

Der Einsatz von Elektronik und Software in Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen hat zu zahlreichen Innovationen geführt. Sicherheit und Effizienz des Straßenverkehrs konnten so signifikant gesteigert werden. Dies betrifft nicht nur einfache Funktionen wie Sicherheitsgurte oder Airbags, sondern vor allem anspruchsvollere Aufgaben bis hin zu hochkomplexen automatisierten Fahrfunktionen. Weitere signifikante Verbesserungen sind durch interdisziplinäre Forschung und Entwicklung erreichbar – wenn es gelingt, die Chancen von Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung synergetisch und systematisch im gesamten Mobilitätssystem zu nutzen.

Ziel und Motivation von AUTOtech.agil ist, eine offene Architektur für das Mobilitätssystem der Zukunft zu schaffen, sowohl für neue wie auch etablierte Fahrzeug- und Mobilitätskonzepte. Das Projektkonsortium umfasst 17 Lehrstühle von neun Universitäten, drei kleine und mittelständische sowie neun große Unternehmen unter der Leitung des Instituts für Kraftfahrzeuge (ika) der RWTH Aachen University.

Ziel ist die Entwicklung einer offenen Software- und Elektrik- und Elektronik-Architektur mit den dazugehörigen Werkzeugen und Methoden. Dabei liegt der besondere Fokus auf der Standardisierung von Schnittstellen sowie der Modularisierung mit dem Ziel der Mehrfachverwendung, Aktualisierbarkeit und Erweiterbarkeit einzelner funktionaler Bausteine. Durch dieses Baukastenprinzip aller notwendigen Software- und Hardware-Elemente für Fahrzeuge aller Art können in der Forschung, Entwicklung, Produktion und vor allem in der Nutzungsphase leicht Ergänzungen und Erweiterungen umgesetzt werden.

Erweiterung auf das gesamte Verkehrssystem

Die im Vorgängerprojekt UNICARagil erforschte und entwickelte Architektur für fahrerlose Fahrzeuge bildet dafür eine wertvolle Basis. Sie diente auch der Gesetzgebung als Orientierung und findet sich in den Randbedingungen, die mit dem im Juli 2021 in Kraft getretenen Gesetz zum autonomen Fahren gesetzt worden sind, wieder. Im Folgeprojekt AUTOtech.agil erweitert das gewachsene Konsortium nun diese Architektur vor allem in den Bereichen Software und Werkzeuge zur Softwareentwicklung auf das gesamte Verkehrssystem.

Auch infrastrukturbasierte Sensorik und kooperative Konzepte mit Leitwarten und Clouds werden vertiefend erforscht. Das Projekt konzentriert sich exemplarisch auf drei Anwendungen, um die Konzepte und den gesellschaftlichen Mehrwert zu demonstrieren:

  • Mobilität für Menschen mit alters- oder krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen;
  • Den nachhaltigen Transport von kritischen Gütern wie beispielsweise Medikamenten;
  • Eine „Schutzengel-Funktion“ für mehr Sicherheit von verletzlichen Verkehrsteilnehmenden, die beispielweise zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind.

Software-Architektur als Baukastensystem

Die modulare Architektur aus agil aktualisierbaren und erweiterbaren Software-Komponenten mit standardisierten Schnittstellen bietet eine nachhaltige Option, einzelne Domänen oder Fahrzeugkomponenten bis hin zur gesamten Funktionalität eines Mobilitätssystems zu einem bestimmten Zeitpunkt auf eine diensteorientierte Architektur umzustellen. Das bedeutet, dass die Architektur nicht wie bislang alle komplexen Funktionen eines spezifischen Fahrzeuges vereinen muss, sondern dass man diese wie bei einem Baukasten entsprechend zusammenstellen kann.

Darüber hinaus werden wichtige Ergänzungen des heutigen Mobilitätssystems, wie Road-Side-Units (RSU), Leitwarten und Leitzentralen sowie kollektive und kooperative Cloud-Funktionen, in die zur Laufzeit aktualisierbare Architektur mit einbezogen.

Stärkung des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts

„Die wegweisende Architektur, die wir in AUTOtech.agil entwickeln, bietet nicht nur die Chance, neue Mobilitäts- und Transportkonzepte zu gestalten, sondern trägt auch zu einer nachhaltigen Stärkung des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts Deutschlands bei. Innovative Software-Technologien werden hierzulande entwickelt, wichtiges Grundlagenwissen geschaffen und Fachkräfte für Morgen ausgebildet. Dadurch möchten wir zur Transformation der heutigen Automobilbranche aktiv beitragen und eine wertvolle Basis für neue Unternehmen schaffen, welche die zukünftige Mobilität gemeinsam mit den etablierten Unternehmen gestalten.“, erläutert Professor Lutz Eckstein, Gesamtkoordinator des Projektes und Leiter des Instituts für Kraftfahrzeuge (ika) der RWTH Aachen University.

„Wir bauen in AUTOtech.agil auf der hervorragenden Zusammenarbeit im Projekt UNICARagil auf und konnten unser Konsortium um zahlreiche weitere namhafte Partner erweitern. Dadurch haben wir die einzigartige Chance, gemeinsam einen Grundstein für die Architektur zukünftiger Mobilität zu legen und die Führungsrolle des Automobilstandorts Deutschland langfristig zu sichern", ergänzt der Gesamtkoordinator weiter.

Zielbild: Modulare Intelligenz und Technologien für zukünftige Mobilitätssysteme
Zielbild: Modulare Intelligenz und Technologien für zukünftige Mobilitätssysteme
(Bild: Institut für Kraftfahrzeuge, RWTH Aachen University)

Zehn Kerninnovationen werden verfolgt

Die in UNICARagil entstandene diensteorientierte Softwarearchitektur (Automotive Service-oriented Software Architecture = ASOA) wird über die Systemgrenze des Fahrzeuges hinaus erweitert. Dies ermöglicht die Verteilung von Intelligenz durch die Orchestrierung von Diensten innerhalb und außerhalb des Fahrzeuges. Zu den fahrzeugexternen Komponenten zählen infrastrukturbasierte Sensorik wie Road-Side-Units (RSU) sowie Leitwarten, Leitzentralen und Clouds.

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Die ASOA wird derart weiterentwickelt, dass sie auch in industrielle Plattformen wie AUTOSAR Adaptive und ROS 2 integriert werden kann.

In Verbindung mit einer Over-the-Air-Updatefähigkeit erlaubt die Erkennung, Diagnose und Prädiktion von Fehlern kurze Innovationszyklen durch agile Updates und Upgrades. Das heterogene Gesamtsystem kann so jederzeit auf einem sicheren Stand gehalten werden.

Neuromorphe Hard- und Software ermöglichen maschinelles Lernen und eine nachhaltige Umfeldwahrnehmung auf einem neuen Energieeffizienzniveau.

Die Organisation von Entwurf, Validierung, Verwendung und Wartung diensteorientierter Elektrik- und Elektronik-Architekturen wird durch die Schaffung und Bereitstellung einer Entwicklungsplattform mit entsprechenden Softwaretools vereinfacht.

Der Universal Automotive Bus (UAB) steigert als universelle, skalierbare und für echtzeitfähiges Rechnen geeignete Schnittstelle die Interoperabilität und reduziert die Komplexität der Systemintegration reduziert.

Eine lernende vernetzte Verkehrsintelligenz aus einem Verbund aus Leitzentralen und Leitwarten ermöglicht die Steigerung der Sicherheit und Effizienz des Straßenverkehrs. Dazu kann diese auf einen Digitalen Zwilling, also ein Live-Abbild des aktuellen Verkehrs, zurückgreifen. Durch diese Vernetzung kann, der in automatisierten Fahrzeugen stattfindende Entscheidungsprozess um kooperative Formen der Entscheidungsfindung erweitert werden.

Die robuste Fahrzeugautomatisierung basierend auf einem modularen Baukasten resilienter Funktionsbausteine berücksichtigt Unsicherheiten in Form von Qualitätsvektoren entlang der gesamten Wirkkette – von der Umfeldwahrnehmung bis zu einer probabilistischen Trajektorien-Planung und -Regelung.

Die projektweite Dokumentation der Sicherheitsaktivitäten im Zusammenspiel aller Komponenten und Module dient der Beschreibung von Unsicherheiten und dem Dialog über erreichbare Sicherheitsniveaus. Durch einen modularen Homologationsprozess sollen Software-Updates im laufenden Betrieb ermöglicht werden.

Eine Automotive Public Key Infrastructure gewährleistet einen sicheren Datenaustausch. Basierend auf den resilienten, probabilistischen Funktionsbausteinen für die Fahrzeugautomatisierung wird ein Monitoring-Framework zur gesamtheitlichen Selbstwahrnehmung unter Nutzung der Qualitätsbewertung geschaffen und eine Fähigkeitsbewertung auf Gesamtsystemebene ermöglicht.

Gruppenbild: Am 13. und 14. Februar 2023 trafen sich die Partner des Verbundprojektes AUTOtech.agil zur Kick-off-Veranstaltung in Aachen.
Gruppenbild: Am 13. und 14. Februar 2023 trafen sich die Partner des Verbundprojektes AUTOtech.agil zur Kick-off-Veranstaltung in Aachen.
(Bild: Institut für Kraftfahrzeuge, RWTH Aachen University)

Projektdaten und Mitwirkende

Name: Architektur und Technologien zur Orchestrierung automobiltechnischer Agilität Akronym: AUTOtech.agil Förderkennzeichen (FKZ): 01IS22088 Projektlaufzeit: 01.10.2022 – 30.09.2025 Fördersumme: 24,86 Mio. € Förderanteil BMBF, inklusive Projektpauschalen Fördergeber: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Projektträger: DLR Projektträger Verbundkoordinator: Institut für Kraftfahrzeuge (ika) – RWTH Aachen University

Ein erfolgreiches Erreichen des Projektzieles ist nur durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit führender Partner aus Forschung und Industrie auf dem Gebiet des automatisierten und vernetzten Fahrens möglich. Insbesondere aus dem Projekt UNICARagil, an dem viele der Partner bereits beteiligt waren, fließen umfangreiche Vorarbeiten wie prototypisch umgesetzte Konzepte und aufgebaute Hardwareprototypen ein.

Um diese Vorarbeiten erweitern und schlussendlich in die industrielle Anwendung überführen zu können, wurde das Konsortium überwiegend um Unternehmen und Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU) aus der Automobilbranche erweitert. Diese Partner bringen zahlreiche weitere Kompetenzen vor allem aus der industriellen Praxis in das Vorhaben ein.

Das durch Projektleiter Raphael van Kempen geführte Projektkonsortium umfasst neben dem Institut für Kraftfahrzeuge (ika) der RWTH Aachen University als Verbundkoordinator auch Partner aus der Forschung mit 17 Lehrstühlen an neun Universitäten sowie aus der Industrie mit drei KMU und neun Unternehmen.

Beteiligte Universitäten

RWTH Aachen University (Institut für Kraftfahrzeuge, Lehrstuhl Informatik 11 - Embedded Software, Lehrstuhl und Institut für Flugsystemdynamik, Lehrstuhl für Software Engineering), TU Braunschweig (Institut für Regelungstechnik, Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze), TU Darmstadt (Fachgebiet Fahrzeugtechnik, Fachgebiet Physikalische Geodäsie und Satellitengeodäsie), Karlsruher Institut für Technologie (Institut für Mess- und Regelungstechnik, Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme), TU München (Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik, Lehrstuhl für Robotik, Künstliche Intelligenz und Echtzeitsysteme), Universität Stuttgart (Institut für Fahrzeugtechnik, Institut für Robuste Leistungshalbleitersysteme), Universität Ulm (Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik), Universität Passau (Lehrstuhl für Technische Informatik), FAU Erlangen-Nürnberg (Lehrstuhl für Regelungstechnik)

Beteiligte mittelständische Unternehmen

iMAR Navigation GmbH, INCYDE GmbH, Thinking Cars GmbH

Unternehmen: DSA Daten- und Systemtechnik GmbH, IPG Automotive GmbH, Mercedes Benz AG, Robert Bosch GmbH, Valeo Schalter und Sensoren GmbH, Vector Informatik GmbH, Vires Simulationstechnologie GmbH, Vitesco Technologies GmbH, ZF Friedrichshafen AG. Zukünftig werden noch zusätzliche assoziierte Partner in das Projekt eingebunden werden. (jw)

Dieser Artikel stammt ursprünglich von unserem Partnerportal Embedded-Software-Engineering.de.

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