Make or Buy KI-Projekte sind selten allein zu schaffen

Bei Projekten rund um Machine Learning (ML) und Künstlicher Intelligenz (KI) stellt sich die Frage, wie viel Unternehmen selbst entwickeln wollen und wo sie externe Hilfe zuziehen. Die Entscheidung darüber ist vielschichtig. Eine strukturierte Herangehensweise kann helfen.

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(Bild: Initiative for Applied Artificial Intelligence)

KI-Projekte unterscheiden sich von anderen Softwarevorhaben in verschiedenen Bereichen und so auch die nötigen Make-or-Buy-Entscheidungen. Ein Papier der Initiative for Applied Artificial Intelligence, entstanden an dem Entrepreneur-Zweig der TU München, UnternehmerTUM, befasst sich mit Inhalten und Struktur solcher Entscheidungsprozesse.

Die Autoren empfehlen, Projekte zunächst nach strategischem Wert und „unfairem Vorteil“ zu klassifizieren. Letzteres sind unternehmensspezifische Skills und Daten, die andere nicht haben. Projekte, die beide Konditionen erfüllen, sollten unbedingt selbst gemacht werden, Projekte, die keine der beiden Bedingungen erfüllen, möglicherweise eingestellt werden.

Die beiden übrigen Fälle – also entweder hoher strategischer Wert, aber fehlende Skills respektive Daten oder aber Skills und Daten vorhanden, strategischer Wert unsicher – erfordern weitergehende Erwägungen.

Drei Herangehensweisen

Grundsätzlich sind drei Herangehensweisen an Make-or-Buy denkbar: Die komplette Eigenentwicklung einschließlich Inhouse-Training des ML-Modells ist sehr aufwendig. Hybride Projekte verwenden vortrainierte ML-Modelle oder weitergehende Module, wie sie etwa AWS oder Google anbieten und kombinieren sie mit eigenen Entwicklungsanstrengungen. Schließlich ist auch der externe Einkauf kompletter KI-Applikationen möglich. Hier stellt sich allerdings die Integrationsfrage.

In KI-Projekten sind vier verschiedene Ebenen zu berücksichtigen, die jeweils eigene Make-or-Buy-Entscheidungen erfordern: Die Infrastrukturebene umfasst Systeme und Prozesse für Entwicklung, Training, Bereitstellung und Wartung von KI-Applikationen. Die Daten-Ebene beschreibt die vorhandenen oder benötigten Daten und deren möglichen Quellen einschließlich Zukauf oder synthetischer Generierung.

Die Ebene der ML-Fähigkeiten umfasst die grundlegenden Funktionen von KI/ML-Produkten, nämlich künstliches Sehen, Hören, Sprachverstehen und Bewegen sowie die Fähigkeit zur Entdeckung (z. B. von Zusammenhängen), Suchen und Planen, Prognostizieren und Neues erschaffen. Je nach Projekt werden von ihnen nur einige benötigt. Falls das Unternehmen sie nicht selbst hat, muss dafür ein Lieferant gefunden werden.

Die oberste Ebene bildet die konkrete Applikation, mag sie nun für die Anwender sichtbar sein oder nicht. Applikationen basieren auf den Ressourcen der drei unteren Ebenen.

Sechs Faktoren

Ob gekauft oder selbst entwickelt wird, wird bei jeder einzelnen Make-or-Buy-Entscheidung von sechs Faktoren beeinflusst:

  • Wie groß sind der Wettbewerbs- und der strategische Vorteil des Projekts (Effizienzgewinne, Kostensenkungen, neue Funktionen …)?
  • Wie wichtig ist die Kontrolle des ML-Modells (z. B. Lock-in-Risiken, regulatorische Anforderungen)?
  • Wie viel kann das Unternehmen aus dem Projekt zum eigenen Nutzen lernen?
  • Werden in dem Projekt Ressourcen (Daten oder Fähigkeiten) eingesetzt, die das eigene Unternehmen signifikant von Wettbewerbern unterscheiden?
  • Wie leistungsfähig sind langfristig und in Bezug auf die eigenen Projektziele die ins Auge gefassten Lösungen externer Lieferanten?
  • Welche Kosten entstehen bei den verschiedenen Erbringungsvarianten?

In jeder Phase des Produktlebenszyklus müssen diese Entscheidungen von Neuem getroffen werden, allerdings sind sie je nach Phase von unterschiedlicher Relevanz. So kann die Ideenfindung am ehesten in kompletter Eigenregie durchgeführt werden – allerdings sollte man durchaus im Auge behalten, ob es vielleicht bereits ein fertiges ML-Produkt für den angestrebten Zweck gibt. Dies gilt auch für den PoC, denn ein bereits vorhandenes Tool kann hier ein wichtiges Zeichen für grundsätzliche Machbarkeit sein. Außerdem sollte man mögliche Lerneffekte mit in die Überlegungen einbeziehen. Sie können mangelnden Praxisnutzen teils kompensieren.

Dem Einsatz näher sind die Erstellung eines Minimalprodukts (Minimum Viable Produkt, MVP) und schließlich die Skalierung des Produkts. In der MVP-Phase kann eine am Markt erhältliche Lösungsalternative die Entscheidung erleichtern. Für die Skalierung ist die Make-or-Buy-Frage am wichtigsten. Dabei müssen vor allem die langfristigen Kosten möglicher Alternativen berücksichtigt werden.

Wie man bei der Skalierung vorgeht, um eine Make-or-Buy-Entscheidung zu treffen, hängt davon ab, wie strategisch wertvoll ein Projekt ist. Projekte mit geringem strategischen Wert sollten möglichst irgendwie an strategisch bedeutende Projekte angebunden werden, statt Ressourcen dort zu investieren.

Ist ein Projekt ausreichend hoch bewertet, sollte man entscheiden, ob das Unternehmen das ML-Modell selbst besitzen sollte, etwa, um wichtiges Wissen im Haus zu behalten. Wird das bejaht, hängt der Grad der eigenen Entwicklungsanstrengungen vor allem vom Vorhandensein eigener Daten- und Fähigkeitsressourcen sowie den Kosten ab. Je nachdem kommen eine komplette Eigenentwicklung, eine hybride Entwicklung oder aber auch die Nutzung einer externen Anwendung in Betracht, wenn sonst die Kostennachteile zu groß werden.

Partner auch bei Eigenerstellung

Auch bei Eigenerstellung braucht man meist Partner, zum Beispiel interne, mit denen man sich vorhandene KI-Ressourcen teilt. Sogar externe Entwickler (Freelancer) oder Forschungsinstitutionen werden in solche Projekte öfter einbezogen. Bei Externen ist auf die Sicherung des geistigen Eigentums zu achten. Akademische Forschung arbeitet häufig noch weit entfernt von der Praxisreife. Hier müssen besonders klare Vereinbarungen darüber getroffen werden, wem welche Ergebnisse am Ende zustehen.

Wer Hybrid- oder externe Erstellung vorzieht, arbeitet meist mit anderen Arten von Partnern zusammen. Beispielsweise mit Cloud-Providern, die KI-Tools oder -Prozessketten bereithalten. Fragen des Dateneigentums und der Integration von Lösungen in die eigene Infrastruktur können dabei Probleme aufwerfen.

Weitere wichtige Partner sind Start-ups, die eventuell auch als strategische Ressource übernommen werden können, größere Lösungsprovider und Integratoren sowie Lieferanten von Software, die sich in die eigenen Produkte einbetten lässt.

Alle Lieferanten sollten sorgfältig qualifiziert werden. Dabei kommt es in der PoC- und MVP-Phase vor allem auf die Beherrschung und Qualitätssicherung von Werkzeugen, ausreichende Versicherungen und Dokumentation an. In der Skalierungsphase sind darüber hinaus ausreichende Hardwareressourcen, Wartungsprozesse und -werkzeuge, Zertifikate, ein sicherer Umgang mit den Daten sowie eine geordnete Übergabe- und Trainingsphase bei der Auswahl zu berücksichtigen.

Benchmarks sind nur eingeschränkt aussagefähig

Benchmarks zur Bewertung basieren meist auf der Verarbeitung generischer Daten und sind daher nur eingeschränkt aussagefähig. Bei externen Lösungen ist unter Umständen ihr Entwicklungspotenzial etwa in Gestalt einer klaren Roadmap wichtiger als die aktuelle Leistung. Schließlich sollte man einen Vendor-Lock-in-vermeiden, beispielsweise, indem man das verwendete Modell mit eigenen Daten trainiert oder die Übertragbarkeit des Modells sicherstellt. Wird das alles berücksichtigt, können durchaus lang andauernde und tiefgehende Partnerschaften zwischen KI-Anwendern und KI-Lieferanten entstehen.

Am Ende der Partnersuche steht meist ein Vertrag. Er sollte in der Regel fünf Themen umfassen: die Datenbeschaffung, die Parameter einer Machbarkeitsstudie, eine Rentabilitätsberechnung, die gewünschte Qualität und den gewünschten Umfang des Projekts und schließlich seine Integration in die übrige IT-Umgebung.

Außerdem sollten geeignete Leistungsmaßstäbe für das abgeschlossene Entwicklungsprojekt definiert und festgelegt werden, mit welchen Methoden diese zu messen sind. Weiter ist zu regeln, wer auf die Trainingsdaten Zugriff bekommt oder wie man den generierten Wert verteilt. Dazu gehört auch das Recht, unter bestimmten Bedingungen geistige Eigentumsrechte an Modellen und Daten herauszukaufen. Schließlich sollten die Aspekte Datenschutz und Risikoverteilung sowie Risikoprävention im Vertrag geregelt sein.

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