Altbewährte Anwendungen verwerfen IT-Modernisierung – Vinyl durch Streaming ersetzen

Von Petra Menzel *

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Für Unternehmen sind organisatorische oder technische Trends eine ständige Gratwanderung – mitgehen oder nicht? Ist schon die Entscheidung, New Work einzuführen, für viele schwer, so sind für Manager von IT-Abteilungen die Entscheidungen für technische oder methodische Neuansätze oft noch schwerer zu treffen.

Nostalgie ist schön und gut, doch mit der Zeit gehen ist meist besser – zum Wohle des Fortschritts und trotzdem nicht um jeden Preis.
Nostalgie ist schön und gut, doch mit der Zeit gehen ist meist besser – zum Wohle des Fortschritts und trotzdem nicht um jeden Preis.
(Bild: gemeinfrei© 3888952 / Pixabay)

Den richtigen Zeitpunkt zu finden, ist nicht einfach: Bleibe ich bei meiner Infrastruktur On-Premises oder gehe ich wie die anderen auch in die Cloud? Bleibe ich bei klassischem Projektmanagement oder lasse ich mich auf agile Methoden ein? Nutze ich neueste Ansätze von DevOps, um meinen IT-Betrieb agil und modern aufzustellen, oder passen für mein Unternehmen bewährte IT-Organisationsstrukturen am besten? Was bringen Blockchain und Microservices? Wann und wo ergeben sie Sinn? Dazu noch der Begriff der bimodalen IT, den die Gartner Group 2014 manifestiert hat und der jetzt schwer über den IT- und Entwicklungsabteilungen in Unternehmen liegt.

Nicht auf Gedeih und Verderb

Technische Entwicklungen stehen niemals still. So zum Beispiel auch in der Musikwelt. Wurden die guten alten Schallplatten lange verdrängt und in den 80er-, 90er- und 2000er-Jahren von Kassetten, CDs, MP3s und letztendlich den Streaming-Diensten verdrängt, haben sie sich in den letzten Jahren ihren Weg wieder zurück in die Läden und auf die heimischen Plattenspieler erkämpft. Es ist das sinnliche Erleben der Tonqualität und Haptik, die die Vinylträger seit kurzer Zeit wieder so beliebt machen. Heißt also im Klartext: Ob Vinyl oder Streaming – es kommt nicht auf die Meinung oder Argumente der Verkäufer an, sondern auf individuelle Bedürfnisse.

Das gilt auch für die IT in Unternehmen. Wurden vor 15 Jahren Host-Systeme verlacht, erleben sie heute in manchen Branchen wie Banken und Versicherungen wieder neuen Auftrieb. Entscheidend ist, was zum Unternehmen, zu den Zielen und der Unternehmenskultur am besten passt. Doch Trendsetting und Wettbewerbsdruck lassen den Entscheidern oft wenig Zeit zum Reflektieren. Geht das Management mit dem Mainstream, ist es nicht angreifbar bei möglichem Scheitern. Trifft es Entscheidungen gegen den Mainstream, steht es allein im Rechtfertigungsdruck.

Agil, Cloud Native oder bimodale IT haben ihre Berechtigung und sind das Angebot von Dienstleistern an sich verändernde Anforderungen von IT-Abteilungen. Es ergibt allerdings keinen Sinn, diese Möglichkeiten auf Gedeih und Verderb in Arbeitsvorgänge pressen zu wollen. Denn nicht jedes Angebot passt zu jedem Bedürfnis. Unternehmen spannen sich in solchen Fällen schneller Fallstricke als gedacht.

Wo liegen diese Fallstricke?

Der größte Fallstrick ist wohl die Annahme, dass ohne Modernisierungen oder Mithalten mit aktuellen Trends die Wettbewerbsfähigkeit verloren geht. Das ist per se nicht richtig. Ganz im Gegenteil. Ich habe schon erlebt, dass Unternehmen ihre gesamte Infrastruktur nach neuesten Trends umgestellt haben, anschließend viel unproduktiver und langsamer als vorher waren und somit die Professionalität nach außen hin stark gelitten hat. Auch liegt ein großer Irrtum in der Annahme, dass nur agile Projektentwicklung den individuellen Anforderungen von IT-Abteilung und Kunden entspricht. Agile Methoden vergeben kein Fertigstellungsdatum. Dadurch ist Verbindlichkeit gegenüber Kunden nicht mehr möglich und kann gerade kleinere IT-Unternehmen an den Rand des Abgrundes treiben, wenn sie immer wieder Fertigstellungstermine verschieben müssen und somit ihre Auftraggeber erst enttäuschen, dann verlieren.

Auch Cloud-Umgebungen sind nicht immer die perfekte Lösung. Infrastruktur in der Cloud bedeutet, einen Service zu mieten und nicht mehr die dezidierte Hardware im eigenen Rechenzentrum zu betreiben. Die Entscheidung für die Cloud ist gut, wenn das IT-Produkt noch wächst, die Anwendung skalierbar und ausfallsicher sein muss. Oder wenn Start-ups sich noch ausprobieren. Dann sind Cloud-Angebote schnell und kostengünstig nutzbar. Aber Vorsicht: Genutzte Software (zum Beispiel ein Webshop bei Amazon) kann oft nur eingeschränkt individualisiert werden und nach kurzer Zeit bereits eine Fehlinvestition sein!

Kleine Schritte statt Großprojekt

Bestehen besondere Sicherheitserfordernisse an die Daten oder ist das IT-Produkt eine proprietäre Entwicklung, die entscheidend für den Marktvorteil des Unternehmens ist, sollte es bei On-Premises-Lösungen bleiben. Auch erfordert nicht jede Modernisierung der Software immer gleich eine komplette Großinvestition. Sich kaum verändernde Geschäftsprozesse laufen auch mit der gleichen Software über Jahre hinweg stabil, wenn diese passend aufgebaut ist. Buchhaltung und Warenwirtschaftssysteme sind typische Beispiele dafür. Bestehende Legacy-Systeme basieren oft auf gewachsenen Erfahrungen und entsprechenden Optimierungen. Sie völlig neu zu entwickeln, nur um dem Trend zu folgen, verbrennt Zeit und wertvolle Ressourcen.

Auch die beim bimodalen Ansatz oft verfolgte Unterteilung der Mitarbeiter in zwei Teams oder Abteilungen ist in der Idee oft attraktiver, als es sich anschließend in der Realität darstellt. Rivalitäten, Konkurrenzdruck und ein Gegeneinander- statt Miteinanderarbeiten können entstehen. Entweder stehen alte Vorgehen gegen neue oder die Erfahrungen und Kenntnisse langjähriger Mitarbeiter werden zulasten moderner Hypes ignoriert oder als überholt abgetan. Hier ist Vorsicht geboten, um respektvolles Miteinander nicht aufgrund von fanatischen Trendverfolgungen zu gefährden.

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Übervorsicht bremst mitunter aus

Doch es gibt auch die andere Seite. Junge Unternehmen oder Start-ups, die vor dem finanziellen Einsatz Angst haben, oder Großkonzerne, die seit Jahrzehnten auf Legacy-Systemen arbeiten, weil es einfach und bekannt ist.

Dazu ein interessantes Beispiel: Ein internationaler Konzern wollte eine spezifische, zentral für den gesamten Konzern genutzte Software ablösen, wobei der Systemunterbau in den bestehenden Strukturen erhalten bleiben sollte. Grund: Dieser hatte sich bewährt, war bekannt in Aufbau und Umgang und so würden hier keine Kosten anfallen. Mehrere Anläufe, dieser Vorgabe zu entsprechen, scheiterten, weil das Bestehende und das Neue einfach nicht effektiv zu vereinbaren waren. Neben großem Zeitaufwand bedeutete in diesem Fall das weitere Festhalten an den Legacy-Systemen ein Einbüßen der Funktionalität und – anders als vermutet – hohe Kosten.

Statt bestehende Zahlencodes und kryptische Eingaben weiter fortzuführen, unterstützte die Gordion Projects GmbH hier mit ihrer eigens entwickelten Methode, um herauszufiltern, welche Benefits durch den Systemumbau erreicht werden sollten. Nach wenigen Workshops war eine neue Vision geboren, getragen vom ganzen Team. Ein passendes Tool fand sich direkt im Haus. Wenige Monate und einige Anpassungen später und die neue Anwendung war da. Viel schneller als vorher von allen erwartet. Anhand dieses Beispiels zeigt sich, dass es sich immer lohnt, vorab das Ziel zu ermitteln und Infrastrukturen und Anwendungen passend dazu zu wählen. Am Ende sparen diese Maßnahmen viel Zeit in der Projektentwicklung, -umsetzung und im täglichen Workflow. Der wichtige Punkt ist bei jeder Umstellung, Modernisierung oder jedem Neuaufbau: Passt diese Umstellung zu unserem Unternehmen? Wenn ja, dann sollten diese Möglichkeiten nicht verschlafen werden.

Was also tun?

Es ist ratsam, die eigenen Bedürfnisse genau zu kennen und die Möglichkeiten des Neuen richtig zu bewerten – unabhängig von Trends, Wettbewerb oder Branchenmeinungen. Sie sollten in jedem Unternehmen darüber entscheiden, welche IT-Formen eingesetzt werden und warum. Die wichtigsten Faktoren sind die Unternehmensziele, die Strategie zu deren Erreichung und die sich daraus ableitenden Anforderungen an die IT-Systeme und IT-Prozesse.

Wie viele Geschäftsprozesse möchte ich mit meiner IT unterstützen? Benötige ich nur klassische Büro- und Collaboration-Software, dazu vielleicht einen Standard-Webshop? Dann reichen Standardprodukte beziehungsweise Services aus der Cloud. Entwickle ich gerade eine App mit immer neuen Funktionen für einen wachsenden Markt? Auch dann könnten moderne Cloud-Lösungen die richtige Entscheidung für mein Unternehmen sein, denn hier bin ich genauso flexibel wie meine Kunden.

Steht für die Daten meines Unternehmens die Datensicherheit an vorderster Stelle, bietet sich ich in jedem Fall eine On-Premises-Lösung an mit eigener Kontrolle durch eigene Administratoren. Leite ich eine große IT-Abteilung mit unterschiedlichsten Anforderungen an Veränderungsflexibilität meiner Produkte oder Kunden, sollte ich – je nach Produkt – ganz unterschiedliche Strategien wählen. Auch Kultur und Altersdurchschnitt der Mitarbeiter kann über die Auswahl der eingesetzten Methoden und Technologien entscheiden. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter die jeweils getroffene Entscheidung verstehen und mitgehen können.

Bedürfnisse genau prüfen

Statt sich also einfach ein großes System oder teure Internetlösungen verkaufen zu lassen, mit der Frage im Hinterkopf, ob diese Strukturen, Systeme und Infrastrukturen überhaupt benötigt werden, dürfen Unternehmer hier selbstbewusst ihren Bedarf vertreten. Intensive Beratungen durch Serviceprovider und versierte Projektmanager helfen dabei, passende Wege und bedarfsgerecht individuelle Lösungen zu finden. So haben auch kleine Unternehmen oder Start-ups die Möglichkeit, sich auszuprobieren, bei ihrer Quintessenz zu bleiben und kostengünstig effektives Management mit bedarfsorientierten Anwendungen zu implementieren.

Ob Legacy oder Cloud, ob altbewährt oder zukunftsgerichtet hängt vom Unternehmen, den internen Strukturen und den Bedürfnissen des Business ab. Wie bei der Entscheidung Schallplatte oder Streaming-Dienst sollten Anwendungen oder Systeme auf keinen Fall nur aus Gründen des Prestiges oder der Reputation vor Kunden implementiert werden, denn das modernste und neueste System ist nichts wert, wenn es die Geschäftsprozesse nicht optimal unterstützt. Denn nur dafür ist IT da.

Petra Menzel, Gordion Projects GmbH.
Petra Menzel, Gordion Projects GmbH.
(Bild: Snapshotz by Petra Fischer)

* Die Autorin Petra Menzel ist Geschäftsführerin der Gordion Projects GmbH und Expertin für komplexes Projektmanagement für IT- und Organisationsprojekte. Gordion fokussiert sich auf Projekt-Krisen-Interventionen zur Ergründung und Auflösung von Problemen in Projekten. Mithilfe der eigens entwickelten „Gordion Projects Management“-Methode zur Erarbeitung effizienter Lösungsansätze sollen die Wertschätzung aller Mitarbeiter und eine hohe Transparenz zwischen allen Projektbeteiligten maßgeblich zum Projekterfolg beitragen.

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