Digitalisierung in der Supply Chain Ist Blockchain das fehlendes Glied in der digitalen Lieferkette?
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Die Formen und Strukturen heutiger Unternehmen haben sich zu vorwiegend datengesteuerten digitalen Einheiten entwickelt. Parallel dazu hat sich ein neues „elektronisches Rückgrat“ aus Partnern, Zulieferern und Industriepartnern herauskristallisiert, das zum neuen Substrat für alle betrieblichen Funktionen geworden ist. Dieses neue Grundgerüst hat einen Namen: die digitale Lieferkette.

Die digitale Lieferkette besteht zum einen aus einem logisch aufeinander abgestimmten Ganzen von Menschen, Prozessen, Produkten und Orten. Zum anderen umfasst sie neue Funktionen der künstlichen Intelligenz für Predictive Intelligence und, in Form von digitalen Zwillingen, eine Reihe „virtueller Mitarbeiter“. Wo man früher Digital Twins ausschließlich im Kontext von Maschinen im Internet der Dinge (IoT) definiert hat, lassen sich jetzt auch digitale Versionen menschlicher Workflows sowie ganzer Teams, Abteilungen und Unternehmen etablieren.
Digitale Zwillinge werden als wichtige Bestandteile der neuen digitalen Wertschöpfungskette genutzt und (meist) auch geschätzt. Unternehmensverantwortliche müssen daher nun auch über ein Kontrollsystem nachdenken – damit sie wissen, welche Funktionen die Digital Twins ausführen und zu welchen Ergebnissen ihre Simulationsberechnungen kommen. Dieses Grundgerüst hat ebenfalls einen (bekannten!) Namen: Blockchain.
Dank der unveränderlichen Distributed-Ledger-Technologie in der Blockchain ist es möglich, den parallelen Einsatz digitaler Zwillinge live nachzuverfolgen und zu unterstützen. Um jeden kontextbezogenen Zustand zu speichern, der von einem digitalen Zwilling benötigt wird, ist ein schnelles Aufzeichnungs- oder Cache-System erforderlich. Dieser Zustandsspeicher (state store) enthält typischerweise den aktuellen Status des digitalen Zwillings (beispielsweise die Information, ob ein Passagier in seinen Flug eingecheckt oder eine Sendung auf einen LKW geladen ist) sowie alle unkorrelierten Ereignisse oder Transaktionen. Er kann auch von externen Tools abgefragt werden, um die neueste Ansicht des digitalen Zwillings zu erhalten. Wenn digitale Zwillinge ablaufen oder uninteressant werden, werden die Daten in der Regel aus diesem Zustandsspeicher gelöscht und in andere Analytikspeicher oder Datenseen verschoben.
Ein dezentraler, manipulationssicherer Speicher
Digitale Zwillinge, die sich über mehrere Organisationen erstrecken, erfordern es, dass Daten oder Transaktionen auf vertrauenswürdige Weise zwischen mehreren Parteien ausgetauscht werden. Weil dem so ist, weil sie ein gewisses Maß an Transparenz in Bezug auf die Geschäftslogik haben oder von einem gemeinsamen, dezentralen, manipulationssicheren Speicher profitieren würden, kann Blockchain als zusätzliche Schicht für den parallelen oder mehrfachen Einsatz digitaler Zwillinge dienen. Manipulationssichere Unveränderlichkeit ist von entscheidender Bedeutung. Das gilt besonders in Umgebungen, in denen geschäftskritische oder lebenswichtige Vorgänge darauf angewiesen sind – auf viele Digital-Twin-Funktionen in der Lieferkette wird genau das zutreffen.
Eine erneute Analyse, wie sich die Blockchain-Technologie entwickelt hat und wie die Verwendung von öffentlichen bzw. privaten Implementierungen (ohne bzw. mit Erlaubnispflicht) unterschiedliche Größenordnungen für die von ihnen kontrollierten Transaktionen bereitstellen (ein Thema, zu dem es viel zu lesen gibt), ist hier sicher nicht notwendig. Dennoch lohnt es sich, einen Blick auf die Verwendung der erlaubnispflichtigen Enterprise-Blockchain in Bezug auf digitale Zwillinge in der Lieferkette zu werfen.
Blockchains speichern Daten in einer manipulationsgeschützten, verteilten und „append-only-Speicherebene“ (bei der man Daten nur hinzufügen kann), die kryptografisch abgeleitet und gemeinsam genutzt wird. Wenn man Transaktionen zu diesem „Hauptbuch“ (Ledger) hinzufügt, gehört zu diesem Schritt typischerweise auch eine Einigung über die Gültigkeit der Transaktion zwischen mehreren Blockchain-Netzwerkteilnehmern.
In der Theorie – wenn nicht sogar in der Praxis – sollten die Teilnehmer einer digitalen Lieferkette in der Lage sein, sich auf relativ geordnete Weise über die Gültigkeit von Transaktionen zu einigen. Die kryptografische „Verkettung“ der Daten macht es schwierig, die Transaktion zu ändern, sobald sie dem Hauptbuch hinzugefügt wurde.
Diese Art der Funktionalität kann nützlich sein beim Einsatz digitaler Zwillinge, die wichtige Zustände oder Kontrollpunkte sicher speichern und zwischen mehreren Parteien austauschen (z. B. Meilensteine der Produktlieferung in einer Supply Chain), behördliche Compliance-Anforderungen erfüllen, die Wahrscheinlichkeit von Betrug verringern oder wichtige Entscheidungen aufzeichnen müssen, die wiederum von verschiedenen Akteuren in einem komplexen System getroffen werden.
Intelligente Transaktionen, intelligente Verträge
Über das digitale Business ist schon viel gesprochen worden, und wenn es um die Entwicklung von Initiativen zur digitalen Transformation geht, gibt es viel „Prahlerei“. Um diesen neuen Plattformverbesserungen mehr Gestalt zu geben, muss man genau definieren, wo man den neuen Software-Code einsetzen wird. Im Kontext dieser Diskussion heißt dieses Einsatzgebiet „intelligente Verträge“ („Smart Contracts“) – auf Geschäftslogik basierender Code, der innerhalb eines Blockchain-Netzwerks läuft und die Parameter der Transaktionen definiert, die stattfinden können.
Es gibt viele Definitionen und Beschreibungen der Smart Contracts – und jedes Blockchain-Framework, das sie unterstützt, neigt dazu, sie unterschiedlich zu implementieren. Als eigenständige Anwendung werden sie für verschiedene Zwecke genutzt: um die Ausführung von Geschäftslogik bei Transaktionen zu automatisieren, um zu validieren, dass eine Transaktion in das Hauptbuch geschrieben werden soll, und um dabei Transparenz und Vertrauen zu fördern. Auch hier gilt: Für digitale Zwillinge, die parallel zu verteilten oder komplexen Systemen arbeiten, kann sich die Fähigkeit, Geschäftslogik auf transparente und sichere Weise zu verteilen, als vorteilhaft erweisen.
An diesem Punkt ist die Entwicklung über das hinausgegangen, was man früher als B2B, als Business-to-Business bezeichnet hat – hin zu einem Bereich, in dem digitale Zwillinge autonom und automatisch miteinander Transaktionen innerhalb der digitalen Lieferkette durchführen können. Als Zugeständnis bringt die höhere Ebene operativer Erkenntnisse eine zusätzliche Komplexität mit sich. Das heißt, jedes Unternehmen muss diese Überlegung in seiner persönlichen Kosten-Nutzen-Analyse gegen die erzielten Vorteile abwägen.
Die Blockchain-Technologie kann digitale Zwillinge mit einem hohen Maß an Transparenz und Nachvollziehbarkeit verfolgen. Das kann auch bei zukünftigen gesetzlichen Anforderungen helfen, insbesondere wenn es um den Import von Rohstoffen geht. So haben beispielsweise die USA vor einigen Jahren die dort börsennotierten Unternehmen dazu verpflichtet, ihre Lieferkette für so genannte „Konfliktrohstoffe“ (Zinn, Tantal, Wolfram und Gold) vollständig zu dokumentieren. Kurz darauf gab die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Richtlinien zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen heraus, was Lieferketten von Mineralien aus Konflikt- und Hochrisikogebieten betrifft.
Eine der zukünftigen Überlegungen zur Blockchain-Nutzung mit digitalen Zwillingen ist es, gemeinsame Marktplätze zu schaffen, gemeinsame Vermögenswerte in Form von Tokens für die jeweiligen Eigentumsanteile darzustellen und gemeinsame Zwecke zu verfolgen. Weil Digital Twins – genauso wie Netzwerke – immer komplexer werden, ist es möglich, dass die Blockchain (in der ein oder anderen Form) zu einer häufiger vertretenen Komponente einer Laufzeitarchitektur für digitale Zwillinge wird.
Im Hinblick auf die in der Überschrift aufgeworfene Frage lässt sich also festhalten: Die Blockchain-Technologie ist nicht unbedingt der „Missing Link“ für digitale Lieferketten voller digitaler Zwillinge. Denn es gibt sie bereits. Das fehlende Glied in der Kette könnte vielmehr die hier beschriebene umfassendere Implementierung, Marktdurchdringung und großflächige Nutzung sein.
Über den Autor: Nelson Petracek ist CTO bei Tibco Software.
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