Freie Stellen, so weit das Auge reicht? Wie der Fachkräftemangel im MINT-Bereich die deutsche Wirtschaft bedroht

Ein Gastbeitrag von Sebastian Dörr-Willken Lesedauer: 5 min |

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Kaum ein Thema scheint die Wirtschaft aktuell so zu bewegen wie der Fachkräftemangel. Dabei gäbe es durchaus Lösungsansätze, um den War for Talents nicht eskalieren zu lassen.

Ob höherer Frauenanteil oder früheres Anwerben: Verschiedene Strategien können dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
Ob höherer Frauenanteil oder früheres Anwerben: Verschiedene Strategien können dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Unternehmen klagen, dass sie aufgrund des Fachkräftemangels auch vor der Schwierigkeit stehen, Fortschritte im Bereich der Digitalisierung oder des Klimaschutzes weiter voranzutreiben. Besonders die derzeit so wichtige MINT-Branche, bestehend aus Mathematikern, Informatikern, Naturwissenschaftlern und Technikern, findet häufig kaum Bewerberinnen und Bewerber für freie oder neu entstehende Arbeitsplätze.

Bei der letzten Zählung im April kam das Institut der deutschen Wirtschaft hier auf circa 496.500 unbesetzte Stellen und in den nächsten Jahren soll diese Zahl voraussichtlich noch um einiges steigen. Dies hängt vor allem auch mit der Generation der Babyboomer zusammen, die in der kommenden Zeit in Rente geht. Gegenwärtig verabschieden sich pro Jahr rund 64.700 Mitarbeitende in den Ruhestand.

Das Problem gestaltet sich allerdings noch größer, denn derzeit sinkt auch die Zahl der Studierenden beziehungsweise Auszubildenden im naturwissenschaftlichen und technischen Umfeld. Somit wächst der Mangel stetig weiter und eine einfache Möglichkeit, diesen abzuschwächen, rückt dabei in weite Ferne. Viele Betriebe stehen daher vor der Schwierigkeit, entsprechende Bewerbungen zu erhalten.

Lücke wächst stetig weiter

Fachkräfte fehlen in vielen Branchen, aber vor allem der Elektrobereich, die Maschinen- und Fahrzeugtechnik sowie die klassischen IT-Berufe stehen vor einem wachsenden Problem. Allein in diesen Branchen zählte eine Studie vor Kurzem noch 50.600 offene Stellen. Aufgrund dieses Mangels haben besonders kleine und mittelständische Unternehmen kaum die Chance, sich in Sachen Digitalisierung weiterzuentwickeln.

Fehlende personelle Unterstützung erlaubt es Mitarbeitenden neben ihrer täglichen Arbeit auch nicht, sich für eine klimaschonende Arbeitsweise einzusetzen oder die Prozesse in Sachen Nachhaltigkeit weiter voranzubringen. Hier bleibt ein großes Investitionspotenzial bisher einfach ungenutzt. Währenddessen sorgen jedoch aktuelle wirtschaftliche Entwicklungen immer wieder dafür, dass Unternehmen ihren eigenen Kurs stetig an die Geschehnisse anpassen müssen, um so auch große Herausforderungen ohne Schwierigkeiten umsegeln zu können.

Besonders in der schnelllebigen Informatik- oder Softwarebranche führt Stillstand ansonsten schnell dazu, dass der eigene Betrieb im Strudel der Konkurrenz untergeht. Ohne ein konsequentes Angehen gegen den Personalmangel wächst dieses Problem immer weiter. Gerade die Einstellung von Quereinsteigern oder jungen Schulabsolventen bietet hier die Möglichkeit, sich der Situation auf dem Jobmarkt endlich zu stellen.

Weibliche Verstärkung in der MINT-Branche?

Wer eine Informatikvorlesung besucht oder eine Ausbildung in der Elektroinstallation beginnt, findet sich häufig einer Mehrheit an männlichen Kollegen gegenüber. Trotz vieler Bemühungen – wie beispielsweise dem Girls’ Day – erweist sich die MINT-Branche oft noch als von Männern dominiert.

Gründe dafür sind oft längst überholte Klischees, die Frauen schon während ihrer Schulbildung in der Wahl ihres zukünftigen Berufs beeinflussen. Gleichzeitig sinkt seit 2015 die allgemeine Zahl der Studenten in der Mathematik, der Informatik sowie in den naturwissenschaftlichen und technischen Fachbereichen. Dies sorgt für zunehmende Besorgnis bei Behörden, Unternehmen und Verbänden, da auch der leicht gestiegene Anteil an Frauen in der letzten Zeit kaum die aktuelle Problematik löst.

Um wirklich für ein Umdenken zu sorgen, braucht es schon von frühster Kindheit an eine verstärkte Heranführung an die MINT-Berufe. Durch die Hervorhebung der Bedeutung dieser Studiengänge im Kampf gegen den anhaltenden Klimawandel lässt sich gerade bei der jungen Zielgruppe noch einiges an Interesse wecken. Zudem benötigt es in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung eine intensive Beschäftigung mit Themen wie beispielsweise Informatik oder spezielle Kursangebote.

Zeit, aktiv einzugreifen

Im Zuge dieser Personalentwicklungen entscheiden sich immer mehr Unternehmen dazu, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und den aktuellen Mangel mit praxisnahen Strategien selbst zu bewältigen. Dabei setzen sie auch immer öfter auf ungelernte Arbeitskräfte, die bisher weder Studium noch Ausbildung abgeschlossen haben. Gerade bei den stetig steigenden Theorieanteilen in Universitäten brauchen viele Absolventen und Absolventinnen beim Einstieg in die Arbeitswelt eine entsprechende Einarbeitung, um dem Unternehmen einen nachhaltigen Mehrwert bieten zu können.

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In der IT macht es daher häufig nicht wirklich einen gravierenden Unterschied, woher die Bewerberinnen und Bewerber kommen und ob Personaler eher statt Studierten eher Quereinsteiger oder interessierte Schulabgänger einstellen. In jedem Fall muss der Betrieb Zeit und Geld in eine unternehmensinterne Ausbildung investieren. Durch das persönliche Anlernen der neuen Arbeitskräfte bietet sich die Chance, die Personallücke in der Zukunft zu vermeiden.

Im Zuge dessen sollten Geschäftsführer jedoch einen entscheidenden Mentalitätswandel auf dem heutigen Arbeitsmarkt nie vergessen. Kaum ein Angestellter verbringt noch, wie vor einigen Jahren, seine vollständige Karriere bis zum Rentenalter in einem einzigen Betrieb. Geregelte Abwanderung bildet schon seit ein paar Jahren ein natürliches Phänomen, dem sich niemand im Personalkampf entziehen kann.

Schnelle Lösung in Sicht?

Gerade das deutsche Bildungssystem rühmt sich häufig nicht mit einer schnellen Umsetzung von Thematiken in den Lehrplan. Bis Änderungen wirklich bei den Schülerinnen und Schülern ankommen, dauert es oft eine Weile und der anhaltende Lehrermangel in den Naturwissenschaften sorgt zudem noch für eine Verschärfung der Problematik.

Viel Zeit für eine langfristige Umstellung bleibt der deutschen Wirtschaft nicht. Hier braucht es schon jetzt eine intensivere Förderung, um das Interesse an diesen Fächern auch bis zum Ende der Schulzeit zu erhalten. Im MINT-Bereich erweist sich die Abbruchquote jedoch als relativ hoch und nur Beratungsangebote können Universitäten, Berufsschulen oder auch der deutschen Wirtschaft dabei helfen, die Zahl der Studien- und Ausbildungszweifler zu reduzieren.

Ohne kurzfristige Lösungen droht schnell ein Stillstand des deutschen Wirtschaftsmotors. Möglichkeiten wie Zuwanderung oder Quereinstieg gehören in dieser Diskussion zwar schon zur Tagesordnung, aber auch hier bedarf es meist im Vorfeld einiges an Zeit und entsprechender Planung. Schnelle Lösungen für das aktuelle Problem scheinen somit schwer erreichbar. Betriebe sind aktuell dringend in der Pflicht, sich schnellstmöglich mit diesem gegenwärtigen und in der Zukunft noch wachsenden Problem zu beschäftigen.

* Sebastian Dörr-Willken ist Geschäftsführer der Semantic Applications GmbH und Co. KG. Schon früh hat er sich mit Oracle Consulting und Webentwicklung beschäftigt. Im Zuge der wachsenden Unübersichtlichkeit beim Personal- und Projektmanagement hat er auch die eigene Software „Ressource Manager“ entwickelt.

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