eBook „Barrierefreie Software entwickeln“ Compliance zu WCAG und BITV
Jeder zehnte Bundesbürger ist auf ein barrierefreies Web angewiesen. Die E-Commerce-Richtline des Europäischen Parlaments und des Rates hat die Mitgliedsstaaten zum Handeln verpflichtet. Wer Webshops entwickelt, muss digitale Barrieren abbauen. Für die Betreiber von Webshops tickt bereits die Uhr.
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Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (wie eben Webshops) im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz BFSG) implementiert. Dieses trat mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt bereits am 22. Juli 2021 in Kraft, rund ein Jahr vor dem Stichtag.
Das BFSG gilt zwar grundsätzlich erst ab dem 28. Juni 2025. Doch Website-Betreiber müssen sich schon jetzt darauf einstellen. Unter das BFSG fallen nämlich grundsätzlich alle Unternehmen mit der Ausnahme von Kleinstdienstleistern mit weniger als zehn Beschäftigten und höchstens 2 Millionen Euro Jahresumsatz. Verstöße könnten für Nachzügler sehr teuer werden.
Alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Gewährleistung der Konformität mit der EU-Richtlinie müssen die Mitgliedsstaaten bis zum 28. Juni 2022 veröffentlichen. Danach ist der Sachbestand vorerst eingefroren. Die Unternehmen sind gut beraten, die Ärmel hochzukrempeln, um sich mit der Implementierung auseinander zu setzen. Auf der To-Do-Liste steht eine ganze Menge.
Alle Webshops in Europa, die der EU-Richtlinie 2019/882 unterliegen, müssen ab dem 28. Juni 2025 insgesamt 60 WCAG-Prüfschritte auf Usability bestehen können. Deutsche Webshops haben laut der Verordnung BITV 2.0 insgesamt 92 Prüfschritte zu meistern.
Die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) 2.0 hat unter anderem auch die Webangebote des Bundes und anderer öffentlicher Stellen auf die Einhaltung der Barrierefreiheit verpflichtet. Sie orientiert sich an den Anforderungen der europäischen Norm EN 301 549 und setzt damit auf den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 auf.
Der „barrierefreie Amtsschimmel“ im Sinne der Web- und mobiler Angebote sowie elektronischer Behördengänge dürfte bereits in den vergangenen Monaten den letzten Schliff bekommen haben. Die digitale Barrierefreiheit öffentlicher Stellen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene war in Deutschland mindestens 20 Jahre lange in der Mache. Für die private Wirtschaft kommen die Pflichten im Gegensatz dazu eher überraschend. Nicht einmal die größten Webshops Deutschlands könnten heute die Anforderungen erfüllen.
Von WCAG zu BITV 2.0
Anders als bei dem internationalen WCAG-Test, den die EU vorschreibt, geht das gesetzlich festgelegte Prüfverfahren in Deutschland noch um einiges weiter. Deutsche Webshops müssen statt der sonst 60 insgesamt 92 Prüfschritte bestehen.
Die abzubauenden Barrieren im E-Commerce fallen im Allgemeinen in vier Kategorien:
- Farben und Darstellung: Zu geringe Kontraste können Menschen mit einer Sehschwäche an der Benutzung einer Webseite hindern; flackernde Inhalte können bei betroffenen Personen Anfälle auslösen,
- Medien: Fehlende oder bedeutungslose Alt-Beschriftungen und andere ähnliche Mängel setzen assistive Technologien außer Kraft; fehlende Untertitel versperren Menschen mit auditiven Einschränkungen den Zugang zu Inhalten,
- Bedienung: Menschen mit motorischen und kognitiven Einschränkungen sind auf alternative Eingabemethoden bzw. Vereinfachungen wie die Leichte Sprache angewiesen,
- Kompatibilität: Fehlende oder unzureichende Kompatibilität mit technischen Hilfsmitteln wie Screenreader kann die Nutzung des Angebots erschweren oder verhindern.
Die EU-Richtlinie hat die Mitgliedsstaaten unter anderem auch dazu verpflichtet, Kontrollverfahren zum Nachweis der Konformität mit Barrierefreiheitsanforderungen zu etablieren, zu implementieren und aufrechtzuerhalten. Die Staaten sollen des Weiteren zuständige Behörden zur Kontrolle der Konformität benennen, ein System zur Bearbeitung von Beschwerden über Verstöße einrichten sowie die Öffentlichkeit darüber aufklären. Auf Unternehmen kommen damit ernstzunehmende Compliance-Pflichten zu.
Wer die Prüfschritte bis zum Stichtag nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, muss mit Klagen und Geldstrafen rechnen. Glücklicherweise gibt es bereits die ersten Lösungen zum Durchführen einer Konformitätsprüfung. Einige Anbieter maßen es sich sogar an, Sanierungsmaßnahmen in Echtzeit zu wagen, wie wir in unserem neuen E-Book zur barrierefreien Software-Entwicklung zeigen.
Das BIK-Prüfzeichen für Deutschland und Europa
Um die Konformität ihrer Webshops mit den Anforderungen von BITV 2.0/EN 301 549 hinsichtlich der Barrierefreiheit zu untersuchen, können Unternehmen auf den BIK BITV-Test (Web) von dem staatlich geförderten BIK-Prüfverband zurückgreifen. Der Test erhielt zum 12. Februar 2022 eine Aktualisierung auf EN 301 549 in der Version 3.2.1.
Die neuen Prüfschritte bilden die normativ verpflichtenden Anforderungen an Web-Content ab und umfassen unter anderem zusätzliche Anforderungen an Videountertitel, die Bereitstellung bzw. Gleichstellung alternativer Kommunikationskanäle, Unterstützung für Screenreader und die Bereitstellung von Inhalten in „Leichter Sprache“.
Die Prüfung erfolgt in zwei Phasen. Der erste Test ermittelt den aktuellen Stand der Barrierefreiheit und führt zur Erstellung eines ausführlichen Prüfberichtes mit Erläuterungen, Hinweisen und Best-Practice-Beispielen für die Optimierung. In der zweiten Phase wird eine leicht geänderte Seitenauswahl erneut geprüft. Nach erfolgreichem Abschluss der zweiten Testphase erhält die Webseite einen Prüfsiegel. Ist eine entwicklungsbegleitende Beratung als Hilfe zur Sanierung der Seite erwünscht, kann der Seitenbetreiber bestimmte Elemente der Präsenz oder Prozesse zur Prüfung vorlegen.
Voraussetzung für die Vergabe eines BIK-Prüfzeichens und die Möglichkeit zur Veröffentlichung der Ergebnisse stellt allerdings eine unabhängige repräsentative Seitenauswahl, welche die betreffende Prüfstelle selbst vornimmt. Von dem Prüfzertifikat gibt es derzeit zwei Varianten: „BIK BITV-konform (geprüfte Seiten)“ und „BIK WCAG-konform (geprüfte Seiten)“.
Schweizer WCAG-Prüfung „Access for all“
In der Schweiz testet die Stiftung „Zugang für alle“ als eine unabhängige Zertifizierungsstelle die Barrierefreiheit von Webauftritten. Als Grundlage dienen die internationalen Richtlinien für barrierefreie Webinhalte des W3C, die WCAG (Web Content Accessibility Guidelines). Das ausgestellte Zertifikat ist abhängig von der erreichten Konformitätsstufe.
Das WACA-Zertifikat in Österreich
Das österreichische unabhängige WACA-Zertifikat (Web Accessibility Certificate Austria) in Gold, Silber oder Bronze bescheinigt die Barrierefreiheit von Web-Auftritten nach den internationalen W3C-Richtlinien (WCAG 2.1 in der Stufe AA, also für Kriterien der Stufen A und AA, aber nicht AAA). Die Gültigkeit des WACA-Zertifikats beschränkt sich auf drei Jahre, danach ist eine Re-Zertifizierung fällig.
Barrierefreiheit als Barriere?
Eine Zertifizierung der digitalen Barrierefreiheit auf der Basis eines Audits durch offizielle Prüfstellen geht sehr schnell ins Geld. Ein Audit kann zudem nur einen vergänglichen Zustand einfangen und so hat das Zertifikat dementsprechend auch eine zeitlich befristete Gültigkeit. Die Gesamtkosten der Aufrechterhaltung einer Zertifizierung können für die betroffenen Unternehmen prohibitiv sein.
Die DIAS GmbH bietet Website-Betreibern mit der sogenannten „BITV/WCAG Selbstbewertung“ eine Möglichkeit, einen Test der Barrierefreiheit ihrer Web-Präsenz in allen 92 Prüfschritten im Selbstbedienungsverfahren durchzuführen. So können Entwickler den Test in ihre DevOps-Abläufe einbinden, um Barrieren der Inklusivität frühzeitig zu erkennen und abbauen zu können. Denn nur so ist die Gleichstellung aller Betroffenen möglich.
Fazit
Der Gesetzgeber nimmt die Entwickler und Anbieter von Webshops mit dem Barrierefreiheits-Check bald weiter in die Pflicht. Dem Thema der Barrierefreiheit und digitaler Inklusion widmet sich aus Sicht der Entwickler das E-Book „Barrierefreie Software-Entwicklung“.
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