Die „Blockchainerisierung“ der digitalen Transformation Blockchain-Strategien für den Mittelstand
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Blockchain-gestützte Dateninfrastrukturen und die ereignisgetriebene Konsensfindung bringen die Digitalisierung erst richtig in Schwung. Von den neuen Möglichkeiten der Automatisierung möchte auch der Mittelstand profitieren. Es fragt sich nur, wie.

Blockchain sei „die technologische Basis für das Internet der Werte“, proklamiert der Branchenverband Bitkom. Sie werde die deutsche Wirtschaft in den kommenden zehn Jahren „entscheidend verändern“, bestätigt der Eco-Verband.
Wie am (Blockchain-)Schnürchen
Die Blockchain habe das Potenzial, „bisher gängige Verfahren völlig auf den Kopf zu stellen und ganze Branchen grundlegend zu verändern“, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg in seinem Kommentar zur Vorstellung der Blockchain-Strategie der Bundesregierung im September. Für Deutschland böte sich eine Chance, „eine weltweite Vorreiterrolle beim Einsatz und bei der Entwicklung der Blockchain einzunehmen“, argumentiert Berg.
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Blockchain-Technologie für Unternehmen
Blockchains für den Mittelstand
„Die deutsche Wirtschaft sieht große Chancen in der Blockchain“, ließ der Branchenverband Bitkom e.V. bereits vergangenes Jahr im Vorfeld des Digital-Gipfels der Bundesregierung verlauten. Bitkom warnte zu jener Zeit aber, dass die Entscheidungsträger noch zögerten, „die Technologie im eigenen Unternehmen einzusetzen“. Zu den größten Stolpersteinen zählten „fehlende Anwendungsfälle, der Mangel an Blockchain-Experten sowie rechtliche Unsicherheiten“. Die Einsichten basierten auf einer repräsentativen Umfrage von Entscheidungsträgern in 1.004 deutschen Firmen ab 50 Mitarbeitern, welche die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverbands Bitkom erarbeitet hatte.
Unter den von Bitkom e.V. befragten Großunternehmen ab 500 Beschäftigten habe sich bereits eine knappe Mehrheit (54 Prozent) mit dem Blockchain-Einsatz auseinandergesetzt. Jeder Vierte (genau genommen: 26 Prozent) habe bereits eigene Blockchain-Initiativen in der Planungs- oder sogar Testphase; bei jedem Sechsten (genau: 17 Prozent) seien eigene Projekte mittlerweile bereits weit gediehen. Im Übrigen: die Blockchain gilt als eines der Top-10 digitalen Trendthemen, so der Bitkom in einer separaten Studie (siehe auch den Bericht „Blockchains für den Mittelstand“).
Viele der Big Player der „Deutschland AG“ sind bereits dabei, ihre Geschäftsprozesse Blockchain-gestützt zu automatisieren. Zahlreiche renommierte deutsche Branchenriesen stecken federführend hinter Initiativen wie Hyperledger, dem gemeinschaftlichen Dachprojekt zur Förderung von quelloffenen Blockchain-Lösungen unter der Schirmherrschaft der Linux-Foundation. Die Deutsche Bank AG, die Daimler AG, die Robert Bosch GmbH und die SAP AG zählen zu den treibenden Kräften u.a. hinter dem Blockchain-Framework Hyperledger Fabric.
Rund 224 Blockchain-Startups buhlen im D-A-CH-Raum um die Gunst von Investoren. Mindestens dreizehn Blockchain-Accelerators sind bereit, neuen Blockchain-Projekten auf die Überholspur zu verhelfen. Der Mittelstand sitzt wie vor Schreck eingefroren überwiegend auf der Reservebank. Das zeigte auch die Bitkom-Studie.
Der Mythos fehlender Use-Cases
Die überwiegende Mehrheit der von Bitkom befragten Unternehmen ab 50 Mitarbeitern (60 Prozent) habe sich überhaupt noch nicht mit dem Thema Blockchain auseinandergesetzt. Gerade einmal jeder achte Arbeitgeber von mehr als 50 Beschäftigten (12 Prozent aller Firmen) sieht sich selbst dem Trendthema gegenüber „aufgeschlossen“; nahezu genauso viele (9 Prozent) seien der Blockchain gegenüber „kritisch und ablehnend“ eingestellt. Entsprechend zögerlich sind sie auch beim Praxis-Einsatz der Technologie. Satte 86 Prozent (also 9 von 10 Firmen) haben sich noch gar keine Gedanken darüber gemacht. Gerade einmal 2 Prozent diskutieren aktuell den Einsatz, 4 Prozent sind in der Planungs- oder Testphase und erst bei weiteren 2 Prozent laufen bereits Projekte.
Die massive Blockchain-Dominanz von Großkonzernen entwickelt sich inzwischen zu einer ernsthaften Gefahr für den Mittelstand. Die großen Akteure möchten die Daten ihrer Lieferanten direkt aus Sensorik „anzapfen“ und in die eigenen Blockchain-Ökosysteme einfließen lassen. Der eine oder andere würde auch gleich die Industrieanlagen seiner Geschäftspartner direkt fernsteuern können. Dem Mittelstand droht ein Verlust der Kontrolle über den eigenen Teil der Versorgungskette. Zu langes Zögern könnte diesen Kontrollverlust irreversibel „zementieren“. Der Existenzwahrung des Mittelstands wäre damit sicherlich nicht geholfen.
Experten sind sich einig: Der Mittelstand müsse in Sachen Blockchain zu den Schwergewichten aufschließen. Es fragt sich nur, wie.
An Blockchain-spezifischen Herausforderungen mangelt es dem Mittelstand nicht. Mit der „handlichen“ Unternehmensgröße gehen Probleme der Skalierbarkeit, darunter ein beständiger Fachkräftemangel und beschränkte Möglichkeiten der Finanzierung neuer Projekte, einher.
Fast 90 Prozent der von Bitkom befragten Unternehmen verweisen bei der Frage nach ihren größten Blockchain-Herausforderungen auf „fehlende Use-Cases“. An zweiter Stelle nennen sie zu ebenfalls knapp 90 Prozent fehlendes Personal. Eine mögliche Rückkopplung zwischen den beiden Einflussgrößen zu vermuten wäre gar nicht so weit hergeholt. Aus der Erfahrung der Großkonzerne lässt sich jedenfalls ein völlig anderes Bild ableiten: Dort scheint es an praxisnahen Anwendungsfällen der Blockchain nicht zu mangeln.
Das Spektrum möglicher Anwendungsszenarien ist auch im Mittelstand beachtlich. So zum Beispiel können auch KMU die Blockchain-gestützte Automatisierbarkeit von Geschäftsprozessen auf der Basis von smarten Verträgen für Kostensenkungen nutzen und neuartige Geschäftsmodelle auf die Probefahrt nehmen.
Automatisierte Transaktionen und Wertschöpfungsketten seien für kleine und mittelständische Unternehmen besonders interessant, argumentiert Eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. im Whitepaper „Die Blockchain im Mittelstand“. Die „Blockchainerisierung“ des Mittelstands eröffne den Beteiligten die Möglichkeit, „sich zusammenzuschließen und zu vernetzen“, um dadurch „verlässlich, automatisiert und flexibel zu produzieren und Transaktionen abzuwickeln“.
Deutsche KMU zeigen sich dennoch eher zurückhaltend; sie haben ja auch weitaus mehr zu verlieren als ein „Wald-und-Wiesen“-Startup. Zahlreiche deutsche Mittelständler sind seit Jahren Marktführer in hart umkämpften Branchen und/oder Technologieführer in ihren Marktnischen. Viele dieser Unternehmen, seit Generationen im Familienbesitz, können auf einen langen Werdegang zu ihrer heutigen Marktposition zurückblicken, und wollen diese nicht aufs Spiel setzen.
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eco veröffentlicht Blockchain-Whitepaper
Die Blockchain im Mittelstand
Kurze Entscheidungswege, aber eine steile Lernkurve
Die Entscheidungswege im Mittelstand sind zwar tendenziell kürzer als bei den Großkonzernen, was ja aber eine weitere Verzögerung bei der Aufholjagt nicht unbedingt rechtfertigen mag. Denn die Lernkurve ist steil und die Resultate der „Blockchainerisierung“ tatsächlich ungewiss.
Die Chefetagen des deutschen Mittelstands wollen weder die Chancen verpassen noch mit ihrem Erbe unnötige Risiken angehen. Für diese Unternehmen gilt es, einen goldenen Weg zu finden.
Blockchain-Infrastrukturen basieren in der Regel auf quelloffenem Code. Dennoch entzieht sich die Nutzung öffentlicher Blockchain-Ökosysteme der Kostenkontrolle der Betroffenen. Allein aus diesem Grunde empfiehlt der eco-Verband den mittelständischen Unternehmen, die Bindung an eine Blockchain-Plattform strategisch zu planen und mögliche Alternativen, wie beispielsweise IOTA, unbedingt mit ins Auge zu fassen.
Mittelständler sollten beim Aufbau von Wertschöpfungsnetzwerken darauf achten, nicht zu spezifisch in eine spezielle proprietäre Blockchain-Architektur eines einzelnen großen Anbieters zu investieren, um einer Hold-Up-Situation vorzubeugen, rät der Branchenverband eco. Als einen möglichen Ausweg sei den Mittelständlern empfohlen, aus bestehenden Wertschöpfungsnetzwerken heraus frühzeitig Konsortien zu gründen, die sich mit der Implementierung von Blockchain-Lösungen zum Beispiel im Supply-Chain-Management im Interesse ihrer Teilnehmer beschäftigen können. So ließen sich die Kosten teilen und die Entstehung von einseitigen Abhängigkeitsverhältnissen vermeiden. Den Unternehmen sei außerdem geraten, eigene technische Mitarbeiter in entsprechenden Ausbildungsformaten auf ihre künftigen Rollen vorzubereiten. KMU könnten außerdem entsprechenden Interessensverbänden und Arbeitsgruppen beitreten, um die benötigten Kompetenzen schrittweise aufzubauen.
Mittelständler können sich außerdem in Inkubationszentren mit Startups zusammenschließen und mit dem Blockchain-Wissen dieser Partner in bestehenden Märkten völlig neue Wertschöpfungsquellen ausloten. Der resultierende Wissenstransfer kann helfen, den eventuell bestehenden Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung im beidseitigen Interesse zu überbrücken.
Schließlich besteht auch noch die Möglichkeit der Teilnahme an diversen innovativen Förderprojekten. Auf der Suche nach Nachwuchskräften könnten Mittelständler am ehesten wohl im akademischen Umfeld fündig werden.
Letztendlich besteht die wahre Kunst darin, den ersten Schritt zu wagen.
Thüringer Zentrum für Maschinenbau (ThZM)
Das Thüringer Zentrum für Maschinenbau (kurz: ThZM) an der TU Ilmenau unterstützt mit seinem Fachwissen Industrieunternehmen über die gesamte Prozess- und Fertigungskette hinweg.
Beim ThZM können sich KMUs zusammenschalten, um Hand in Hand an Pilotprojekten zu arbeiten und so gemeinsam eine Auffahrt auf die Datenautobahn der digitalen Transformation zu suchen. Das ThZM stellt zudem hilfreiche Verbindungen zu anderen kompetenten Kooperationspartnern her, die Mittelständlern bei der Lösung konkreter Entwicklungsaufgaben behilflich sein können.
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Smart Contracts und mehr
Revolutioniert Blockchain den Mittelstand?
Fazit
Um sich in der bald „blockchainerisierten“ Wirtschaft behaupten zu können, braucht der Mittelstand einen strategischen Plan. Der Stichtag rückt erbarmungslos nahe.
In diesem kleinen, aber wichtigem, Zeitfenster eröffnet sich für den Mittelstand eine möglicherweise einzigartige Chance, die eigene Datensouveränität schlussendlich doch noch zu retten und sich aus der bisher sklavischen Abhängigkeit von den branchenbeherrschenden globalen Großkonzernen zu lösen.
Die KMUs müssen sich hierzu vom Reservebank-Hocker reißen, bevor sich die verschiedenen Ökosysteme Blockchain-getriebener Wertschöpfung fest etabliert und aufeinander eingespielt haben werden.
Das größte Risiko für den Mittelstand besteht darin, durch das Aussitzen der Blockchain-Revolution den Anschluss zu verpassen. Wer zu den Gewinnern zählen möchte, muss handeln.
Über die Autoren: Anna Kobylinska und Filipe Pereira Martins arbeiten für McKinley Denali Inc. (USA).
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