Pocurement mit Blockchain und IoT Blockchain-gestützte Supply-Chain-Lösungen

Von Anna Kobylinska und Filipe Martins

Globale Lieferketten werden immer komplexer, aber neue Supply-Chain-Lösungen, die auf die Blockchain-Technologie setzen, helfen Unternehmen dabei, jeden IoT-isierten Schritt der Wertschöpfung intelligent und automatisch zu steuern.

Blockchain-Plattformen spielen bei der IoT-isierung der Lieferkette eine zentrale Rolle.
Blockchain-Plattformen spielen bei der IoT-isierung der Lieferkette eine zentrale Rolle.
(© IncrediVFX - stock.adobe.com)

Erstaunliche 80 Prozent der Produkte, die ein Verbraucher täglich nutzt, wandern per Fracht übers Meer. Bürokratiekosten wie die Bereitstellung und Abgleich von Handelsdokumenten für den Zoll machen einen Fünftel der physischen Transportkosten aus, schätzt IBM. Blockchain-Pioniere wie die Daimler AG haben in der Optimierung ihrer Lieferketten neue Potenziale entdeckt. Innovatoren wie die SkyCell AG, ein Unternehmen der Smart Containers Group, haben darauf ihr ganzes Geschäftsmodell aufgebaut.

Die SkyCell AG stellt Unternehmen temperaturkontrollierte Container für die Luftfracht-Beförderung von Pharmazeutika und ähnlich sensiblen Waren bereit. Ohne eine durchgängige Temperaturkontrolle würden teilweise bis zu 25 Prozent der sensiblen Lieferungen beim Empfänger unbrauchbar ankommen. Die IATA (International Air Transport Association) beziffert die globalen Verluste auf 35 Milliarden USD pro Jahr.

In der Lebensmittelindustrie ist der Verschnitt sogar noch höher: zwischen 30 Prozent und 40 Prozent des Warenwertes. Um etwaige Schäden durch die Temperaturschwankungen der konventionellen Transportkette zu minimieren, werden viele Fruchtsorten noch grün geerntet und während der Fracht mit chemischen Mitteln künstlich auf die Schnelle „gereift“. FoodGuardians möchte die logistischen Ineffizienzen aus der Lebensmittelversorgungskette ausmerzen. Die „Blockchainerisierung“ der Container senkt die ansonsten erheblichen Administrationskosten der globalen Nachverfolgung von Fracht für alle relevanten Messwerte. Mit Hilfe der Blockchain sammelt das Unternehmen eigenen Angaben zufolge mehr als eine Milliarde Datenpunkte pro Jahr.

Gut versorgt

Nirgendwo brauchen die Unternehmen mehr Einblicke in die technischen Eckdaten physischer Objekte als im Procurement. Mangelnde Transparenz der Lieferkette stellt eine Bedrohung für die Produktqualität dar und stellt die Kostenstruktur in Frage. Blockchain und IoT gehen in Sachen Procurement Hand in Hand. Zum Beispiel bei der Daimler AG in Stuttgart.

Wilko Stark, Procurement and Supplier Quality, Member of the Divisional Board of Management bei Mercedes-Benz Cars in Stuttgart.
Wilko Stark, Procurement and Supplier Quality, Member of the Divisional Board of Management bei Mercedes-Benz Cars in Stuttgart.
(Bild: Daimler AG)

„Blockchain-Technologie hat das Potenzial, unsere Beschaffungsprozesse grundlegend zu revolutionieren“, beobachtet Wilko Stark, Procurement and Supplier Quality, Member of the Divisional Board of Management bei Mercedes-Benz Cars in Stuttgart, einer Tochter der Daimler AG. Die Blockchain-Transformation könnte „nahezu die gesamte Wertschöpfungskette betreffen“, argumentiert er weiter.

Die Daimler AG verpflichtet seine direkten Lieferanten vertraglich auf gewisse Standards in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Menschenrechte, den Umweltschutz, Sicherheit, Geschäftsethik und Compliance. Das Unternehmen verlangt von seinen Lieferanten genau dasselbe, nämlich dass sie eben diese Standards im Rahmen vertraglicher Verpflichtungen auf ihre eigenen Lieferketten übertragen und wirksam durchsetzen. Daimlers Tochter, Mercedes-Benz Cars, hat hierzu mit der Vertragsexpertin Icertis eine strategische Partnerschaft aufgebaut. Mit dem Ziel im Auge, die Transparenz der Lieferkette über die direkten Lieferanten hinweg hinaus zu erhöhen, entstand das Prototyp einer Blockchain-Lösung für Supplier Traceability.

Der Blockchain-Prototyp schafft ein besseres Verständnis der komplexen Abläufe entlang der Lieferkette. Sollte einer der Unterlieferanten von den vertraglichen Verpflichtungen abweichen, würde sich dies in der Blockchain wie in einem gesicherten Abrechnungssystem reflektieren, hofft das Management. „Der Blockchain-Prototyp eröffnet völlig neue Möglichkeiten, um Einkaufsprozesse einfacher und sicherer zu gestalten“, so Sabine Angermann, Leiterin Einkauf und Lieferantenqualität für Rohstoffe und Strategie bei Mercedes-Benz Cars. Die Daimler AG ist Mitglieder von Hyperledger der Linux Foundation (siehe dazu auch den Bericht „Blockchain-Plattformen und -APIs im Unternehmenseinsatz“).

In Daimlers Fußstapfen folgte neuerdings die Volvo-Gruppe. „Wir haben uns schon immer auf eine ethische Lieferkette für unsere Rohstoffe verpflichtet“, sagte im November Martina Buchhauser, Leiterin der Beschaffung beim schwedischen Autobauer Volvo. „Mit der Blockchain-Technologie können wir in enger Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten den nächsten Schritt zur Sicherstellung der vollständigen Rückverfolgbarkeit unserer Lieferkette und zur Minimierung der damit verbundenen Risiken gehen.“ Volvo hat hierzu Vereinbarungen mit dem chinesischen Batteriehersteller CATL und dem koreanischen Chemiekonzern LG Chem für die Lieferung von Batterien für die nächsten zehn Jahre getroffen. Den Zuschlag für die Blockchain in der gesamten Lieferkette von CATL erhielten die Unternehmen Oracle Corp. und Circulor. Volvo selbst hat sich einer von Ford Motor Co. unterstützten Initiative mit RCS Global und IBM angeschlossen, um die Kobaltversorgung von LG Chem zu überwachen. Volvo gehört zur chinesischen Zhejiang Geely Holding Group.

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Das (de-)zentrale Nervensystem einer Lieferkette

Das Konzept einer „IoT-“ und „Blockchain-isierten“ Lieferkette ist denkbar einfach: IoT schafft Berührungspunkte der unternehmenseigenen Geschäftslogik mit der realen Welt durch Sensorik (also Vorrichtungen zum Erfassen von Messwerten) und Aktorik (Vorrichtungen zum Ausführen der Anweisungen, die sich daraus ergeben). Die Blockchain bildet in diesem Szenario das Rückgrat der Datenerfassung und -Auswertung und ein dezentrales „Denkapparat“ mit seiner verteilt ausführbaren Geschäftslogik von smarten Verträgen und Off-chain-KI (siehe dazu den Bericht „Die besten Blockchains für smarte Verträge“). Drahtlose M2M-Konnektivität, die sich zunehmend kostengünstig via 5G-Mobilfunk und/oder WiFi 6 implementieren lässt, schafft eine Brücke, die im Takt auftretender Ereignisse tickt. Soweit zur Vision. Wie steht es denn mit der gelebten Praxis?

Vorreiter der IoT-isierung sind schon länger am Werk. Pioniere setzen klar auf die Blockchain und sind gerade dabei, nach den ersten erfolgreichen Pilotprojekten einen Gang hochzuschalten.

Procurement via Blockchain absichern: Marco Polo

Globale Lieferketten werden immer komplexer, immer globaler. Unternehmen wie auch ihre Banken wünschen sich mehr Transparenz im Procurement und mehr Kontrolle über globale Lieferketten.

Die Absicherung von Außenhandelsfinanzierungen auf herkömmliche Weise gestaltet sich bisher ineffizient und langwierig. Nicht zuletzt, weil die beteiligten Vermittler, von Logistikdienstleistern über Versicherer bis hin zu Zollbehörden, Datenaustausch auf dem Papierwege betreiben, per Telefon besprechen und manuell abarbeiten. Die eigentlichen Handelspartner sitzen inzwischen auf heißen Kohlen, die Ware sammelt Staub und die Zahlung liegt auf Eis.

Das Bankenkonsortium R3 und das Startup TradeIX wollen dem internationalen B2B-Kommerz mit einer Handelsplattform namens Marco Polo auf der Basis von R3 Corda endlich Beine machen. In einem Pilotprojekt mit der Beteiligung der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) konnten die Partner einen Nachweis für das Potenzial der Blockchain im vergangenen September erbringen.

In dem Pilotprojekt haben erstmals börsennotierte Unternehmen aus dem DAX bzw. MDAX über die Blockchain-Technologie Corda ein Handelsgeschäft abgewickelt: Die Daimler AG und der Maschinen- und Anlagenbauer Dürr AG haben die Bestellung und Lieferung einer Auswuchtanlage der Dürr-Tochter Carl Schenck AG über Marco Polo vereinbart und das Zahlungsziel durch ein unwiderrufliches bedingtes Zahlungsversprechen („Payment Commitment“) der LBBW als Bank des Käufers abgesichert. Nach Eingang der Lieferung flossen die betreffenden Lieferdaten rein digital in Marco Polo hinein und wurden hier automatisch mit den vereinbarten Transaktionsdaten abgeglichen und damit die unwiderrufliche Zahlungsverpflichtung ausgelöst. Das Ganze wurde binnen weniger Minuten statt mehrerer Tage abgewickelt. Bei der Transaktionsabwicklung konnte die LBBW erstmals auch die Backend-Integration in die eigenen Bestandssysteme austesten.

Claudia Hainlen, Leiterin der Niederlassung Unternehmenskunden Pforzheim/Nordschwarzwald der Landesbank Baden-Württemberg.
Claudia Hainlen, Leiterin der Niederlassung Unternehmenskunden Pforzheim/Nordschwarzwald der Landesbank Baden-Württemberg.
(Bild: Hainlen / LBBW)

„Mithilfe innovativer Plattformen und Technologien wie Marco Polo und Corda können wir die Komplexität in der Auftragsabwicklung reduzieren. Davon profitieren alle Beteiligten“, kommentierte CFO der Carl Schenck AG und der Dürr-Division Measuring and Process Systems, Susanne Schlegel. Claudia Hainlen, Leiterin der Niederlassung Unternehmenskunden Pforzheim/Nordschwarzwald der LBBW urteilt: „Plattformen wie Marco Polo gehören zum Bankgeschäft der Zukunft“.

Für die LBBW war dies bereits die dritte Pilottransaktion über Marco Polo nach zwei Geschäften mit den Industriepartnern Voith und KSB. Die LBBW ist im Übrigen Gründungsmitglied von Marco Polo. Dem Projekt Marco Polo haben sich kürzlich die Mastercard und Bank of America angeschlossen. Offenbar ist an Blockchain-gestützten Zahlungs- und Handelsplattformen doch etwas dran.

Der Kostensturz ins Bodenlose

Der Sturz ins Bodenlose: Fallende Kosten von IoT-Sensorik verbessern die Rentabilität neuer Investitionen.
Der Sturz ins Bodenlose: Fallende Kosten von IoT-Sensorik verbessern die Rentabilität neuer Investitionen.
(Bild: Microsoft)

Die Kosten für IoT-Sensorik fallen ins Bodenlose, freut sich Microsoft, der Anbieter von Dynamics, unter Berufung auf Zahlen von Goldman Sachs. Auch die Gesamtmenge vernetzter Endgeräte soll kontinuierlich wachsen (siehe Abbildung). 5G steht in den Startlöchern und schafft für Unternehmen neue Spielräume im Hinblick auf kostengünstige M2M-Kommunikation der „letzten Meile“. Die Weichen sind also gestellt.

Die Investitionsbereitschaft der Unternehmen im Hinblick auf die IoT-isierung ihrer Lieferketten wächst schon länger zweistellig pro Jahr. Globale Ausgaben für IoT sollen im kommenden Jahr 1,1 Billionen USD überschreiten (Engl. $1.1 trillion), prognostiziert IDC. Zum Vergleich: Im laufenden Jahr werden Unternehmen gerade einmal schätzungsweise 745 Milliarden USD ($745) für IoT ausgeben.

Zum Vergleich: Der globale Markt für Blockchain-Lösungen soll laut einer Prognose von Transparency Market Research (TMR) bis zum Jahre 2024 einen Wert von 20 Milliarden USD erreichen. Laut einem Bericht des World Economic Forum auf der Basis einer Umfrage könnte bis zum Jahre 2027 satte 10 Prozent des globalen GDP an eine Blockchain „angekettet“ sein.

Die Anzahl der IoT-Verbindungen in Milliarden im globalen Maßstab wächst.
Die Anzahl der IoT-Verbindungen in Milliarden im globalen Maßstab wächst.
(Bild: Microsoft)

„Die Lieferkette ist heutzutage von entscheidender Bedeutung für die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Kunden zufriedenzustellen, profitables Wachstum zu sichern und neue Innovationen auf den Markt zu bringen“, beobachtet Allan Dow, Präsident von Logility, Anbieters einer KI- und ML-getriebenen Plattform zur Optimierung digitalisierter Versorgungsketten mit deutscher Niederlassung in Düsseldorf. Zu den Nutzern von Logility zählen Unternehmen wie Hunkemöller und Starbucks. Noch ist die Plattform nicht Blockchain-gestützt, doch die Talentsuche nach Blockchain-Kompetenzen hat offenbar bereits begonnen. Mac McGary, seit Februar als Geschäftsführer von Logility im Amt, war zuvor bei dem Blockchain-Spezialisten Sweetbridge Alliance tätig, dem Anbieter einer Blockchain-Plattform zur Tokenisierung von Lieferketten. Das Know-how um die Blockchainerisierung IoT-gestützter Lieferketten steht offenbar hoch im Kurs.

Die SAP AG und PwC tüfteln gemeinsam an Blockchain-gestützten Lösungen zur Optimierung von Lieferketten. Mit Hilfe der PwC-Dienste auf der Basis von SAP Leonardo und der SAP Cloud Platform können Unternehmen Blockchain-getriebene Rückverfolgbarkeit von Materialien gewährleisten und so die Effizienz ihrer Lieferketten steigern. Die Lösung ermöglicht Unternehmen, Daten zwischen mehreren autarken Teilnehmern einer Lieferkette reibungslos zu synchronisieren und gewisse Arbeitsabläufe zu automatisieren. Mehr Transparenz soll neue Effizienzen zu Tage fördern und die Einhaltung regulatorischer Anforderungen erleichtern.

Die Blockchain im IoT-Goldrausch

TradeLens, die Blockchain-gestützte Logistik-Lösung von Maersk in Zusammenarbeit mit IBM, soll laut Maersk täglich über eine Million Ereignisse globaler Lieferketten aufzeichnen und laut den Angaben von Alphaliner über 60 Prozent des globalen Warenverkehrs überwachen.
TradeLens, die Blockchain-gestützte Logistik-Lösung von Maersk in Zusammenarbeit mit IBM, soll laut Maersk täglich über eine Million Ereignisse globaler Lieferketten aufzeichnen und laut den Angaben von Alphaliner über 60 Prozent des globalen Warenverkehrs überwachen.
(Bild: Maersk)

Blockchain-gestützte Supply-Chain-Lösungen können helfen, die lückenlose Rückverfolgbarkeit von Warenlieferungen zu gewährleisten und mit IoT-gestütztem Track-und-Tracing die Warenflüsse der gesamten Wertschöpfungskette zu koordinieren. Da steckt viel Geld dahinter.

Auch IBM will ein Stück von dem lukrativen Kuchen. Der Blaue Riese will in Zusammenarbeit mit Anheuser-Busch InBev, Cisco, GlaxoSmithKline, Lenovo, Nokia, Schneider Electric und Vodafone eine neue Blockchain-basierte Supply Chain Management-Lösung entwickeln und tauften sie auf den Namen Trust Your Supplier (TYS). Eine tragende Rolle soll hierbei der Blockchain-Schmiede Chainyard zukommen. IBM verspricht den Kunden Zeitersparnisse von mehr 70 Prozent für den On-Boarding-Prozess von Neukunden und eine Senkung der Verwaltungskosten um 50 Prozent dank verbesserter Konnektivität im Rahmen der Lieferkette.

IBMs Blockchain-gestützte Logistik-Lösung, die im Auftrag von Maersk entstanden ist, TradeLens, soll für seine über 100 Mitglieder täglich über eine Million Ereignisse globaler Lieferketten aufzeichnen und laut den Angaben von Alphaliner über 60 Prozent des globalen Warenverkehrs überwachen. Blockchain-Skalierbarkeit ist für den Blauen Riesen offenbar kein Problem (siehe dazu auch den Bericht „Skalierbarkeit der Blockchain“).

Fazit

Blockchain-Plattformen spielen bei der IoT-isierung der Lieferketten eine zentrale Rolle. Mit Hilfe von IoT-Sensorik und -Aktorik können Unternehmen ihre Interaktionen mit ihren Geschäftspartnern wie den Empfang von Warenlieferungen IoT-gestützt erfassen, Informationen austauschen und automatische Vorgänge, beispielsweise Zahlungsfreigaben, IoT-gesteuert auslösen.

Über die Autoren: Anna Kobylinska und Filipe Pereira Martins arbeiten für McKinley Denali Inc. (USA).

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