Blockchain(s) as a Service (BaaS) Blockchain als Service für den Mittelstand

Anna Kobylinska und Filipe Martins

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Nur die wenigsten Unternehmen haben die nötige Infrastruktur für ein Blockchain-Pilotprojekt, geschweige denn für ein -Deployment. BaaS-Dienste wollen in die Bresche springen. Bieten sie denn wirklich die nötigen Voraussetzungen für einen Erfolg?

BaaS-Dienste im Pay-as-you-Go-Modell reduzieren betriebliche Risiken und wirken der Entstehung von Kapitalengpässen entgegen.
BaaS-Dienste im Pay-as-you-Go-Modell reduzieren betriebliche Risiken und wirken der Entstehung von Kapitalengpässen entgegen.
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In Sachen Blockchain sitzt der deutsche Mittelstand nach wie vor auf der Reservebank und schaut zu. Zu diesem Schluss kommt die Studie “Blockchain in Deutschland – Einsatz, Potenziale, Herausforderungen” des Branchenverbands Bitkom von 2019. Sie malt ein klares Bild: Wer über das nötige finanzielle Polster für eine Blockchain-Implementierung nicht verfügt, traut sich in die Blockchain-Szene nicht hervor – und fällt zurück.

Blockchain nur was für die Großen?

Diskrepanz: Unternehmen ab 500 Mitarbeitern ziehen ihren kleineren Rivalen in Sachen Blockchain immer noch davon.
Diskrepanz: Unternehmen ab 500 Mitarbeitern ziehen ihren kleineren Rivalen in Sachen Blockchain immer noch davon.
(Bild: Bitkom)

Erst 2 Prozent aller Unternehmen ab 50 Mitarbeiter setzen die Blockchain-Technologie bereits in ihrem Unternehmen ein. Weitere 4 Prozent planen den Einsatz. Wiederum andere 2 Prozent diskutieren ihn. Zum Vergleich: Bei Firmen mit mindestens zehnmal so vielen Mitarbeitern (also ab 500) kommen diese drei Kategorien zusammengerechnet auf erstaunliche 55 Prozent. Die Studie basiert auf einer repräsentativen Umfrage der Bitkom Research im Auftrag des Digitalverbands Bitkom.

Als entscheidende Faktoren für den Einsatz der Blockchain nennen die Nutzer unter den Befragten Effizienzsteigerung und Vertrauensbildung. Sollte sich die Einschätzung dieser Entscheidungsträger tatsächlich bewähren, müssten die betroffenen Unternehmen im Laufe ihrer „Blockchainerisierung“ in beiden diesen Disziplinen an Schwung gewinnen. 82 Prozent der Unternehmen, die die Blockchain „nutzen, dies planen oder diskutieren“, avisieren neue Produkte und Dienstleistungen. 66 Prozent sprechen sogar von neuen Geschäftsmodellen.

Im Umkehrschluss wäre aber zu erwarten, dass die Nachzügler – derzeit vorrangig KMU – durch das Aussitzen der „Blockchainerisierung“ ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen könnten, bis sie einen Weg finden sollten, zu den Blockchain-Vorreitern doch noch aufzuschließen – zum Beispiel mit BaaS eben.

Die BaaS-Offensive

Bei BaaS ist von Blockchain-as-a-Service die Rede, also einer Cloud-Dienstleistung zur Bereitstellung von Infrastruktur- oder Plattformdiensten für unternehmenseigene Blockchain-Anwendungen. BaaS-Dienste sollen Unternehmen erlauben, eigene Blockchain-Lösungen auf die Beine zu stellen, ohne hohe Vorabinvestitionen zu tätigen oder einen großen administrativen Aufwand zu treiben. Da hören aber schon wieder die Gemeinsamkeiten auf.

Nahezu jeder BaaS-Anbieter versteht unter diesem Akronym etwas völlig anderes. Es wird langsam unübersichtlich.

Zum einen gibt es die Platzhirsche der Cloud-Szene mit ihren Alles-as-a-Service-Ökosystemen: Microsoft Azure, AWS, IBM, Oracle, Salesforce, Huawei und unzählige andere. Kein IT-Schwergewicht, das etwas von sich hält, traut sich scheinbar noch in das Licht der Öffentlichkeit ohne einen eigenen BaaS-Dienst hervor. Dann gibt es die wirklich interessanten und vergleichsweise noch unbekannten Nischenanbieter.

BaaS der ersten Liga

Der Kampf um die Marktführerschaft zwischen den Platzhirschen der BaaS-Szene zeigt keinerlei Zeichen, nachlassen zu wollen. Diese Anbieter befolgen eher einen holistischen Ansatz, der eine Vielzahl möglicher Nutzungsszenarien abdecken kann.

Im Mai 2019 hat Microsoft Azure Blockchain Services lanciert, einen vollständig verwalteten BaaS-Dienst für konsortielle Blockchains auf der Basis von Quorum Ethereum. Die Implementierung entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Finanzinstitut J.P. Morgan Chase & Co.

Microsofts BaaS nutzt Azure Ressource Manager-Templates, um ein verteiltes Netzwerk aus virtuellen Maschinen oder Docker-Containern ins Leben zu rufen. Mit BaaS können Unternehmen mit wenigen Mausklicks einen experimentellen Sandkasten für die Entwicklung von Prototypen Blockchain-gestützter Apps aufzusetzen und ihre Lösungen als private, öffentliche oder Konsortium-kontrollierte Blockchain-Ökosysteme produktiv in Betrieb nehmen. Die Azure-Cloud erleichtert die Integration von Dapps mit Microsofts Technologien mit einer Vielzahl von spezialisierten Tools und Diensten. Mit Hilfe der sogenannten Cryptlets (kryptografischer Middleware-Bausteine der Smart-Contract-Architektur von Microsoft) sollen Anwender Daten aus externen Quellen in ihre Blockchains einpflegen können. Im Azure Marketplace gibt es zudem Middleware-Tools für eine Vielzahl konkreter Anwendungen.

Das Highlight des Blockchain-Ökosystems von Microsoft ist das hochperformante Confidential Consortium Blockchain Framework, eine quelloffene Plattform für hochskalierbare, vertrauliche, Konsortium-kontrollierte Blockchain-Netzwerke.

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Genau wie Microsoft adressiert auch IBM Blockchain-Deployments der Enterprise-Klasse. IBMs Blockchain-Plattform basiert allerdings auf Hyperledger Fabric, einem quelloffenen Blockchain-Framework der Linux Foundation, welches im Übrigen von IBM stammt.

IBMs BaaS-Dienst erfordert die Provisionierung des IBM Cloud Kubernetes Service und IBMs Storage-Dienste von dem Blauen Riesen. Wenn das erst einmal steht, bietet IBMs Blockchain-Plattform uneingeschränkte Interoperabilität mit anderen Hyperledger Fabric-Netzwerken beliebiger Anbieter.

AWS geht das Thema Blockchain differenzierter an:

  • Amazon Managed Blockchain: Dieser Managed-Service kann Blockchain-Netzwerke auf der Basis von Hyperledger Fabric und Ethereum ins Leben rufen und automatisch herauf und herunter skalieren
  • AWS Blockchain Templates: Starthilfe zum Aufsetzen von Blockchain-Netzwerken auf der Basis von Hyperledger Fabric und Ethereum für Unternehmen, die mehr granulare Kontrolle über ihre Blockchain-Anwendungen benötigen und diese selbst verwalten wollen
  • Amazon QLDB (Quantum Ledger Database): Diese gemanagte serverlose Datenbank nutzt Blockchain-ähnliche Prüfmechanismen zur Gewährleistung der Manipulationssicherheit der Einträge; eine SQL-ähnliche Abfragesprache namens PartiQL soll zwischen Schema-konformen und unstrukturierten NoSQL-Daten reibungslos eine Brücke schlagen und alle Datenbestände unter einen Hut bringen können.

System-of-Record-Anwendungen mit kryptografischen Prüfsummen: Die Funktionsweise Amazons QLDB-Datenbank macht Anleihen bei der Blockchain-Technik, setzt jedoch anders als die DLT auf zentralisierte Kontrollmechanismen.
System-of-Record-Anwendungen mit kryptografischen Prüfsummen: Die Funktionsweise Amazons QLDB-Datenbank macht Anleihen bei der Blockchain-Technik, setzt jedoch anders als die DLT auf zentralisierte Kontrollmechanismen.
(Bild: AWS)

Bei der Entwicklung von Blockchain-Lösungen auf AWS sind die betroffenen Unternehmen auch nicht mehr auf sich allein gestellt. Ein Ökosystem von AWS-Partnern soll aspirierenden Blockchain-Nutzern mit spezialisierten Kompetenzen unter die Arme greifen. Zu den Nutzern der BaaS-Lösungen von Amazon zählen unter anderem die T-Mobile und PwC.

Die Herausforderer der BaaS-Szene

Eine Handvoll kleinerer und noch unbekannter Blockchain-Schmieder möchte es mit den Platzhirschen der BaaS-Szene aufnehmen. Diese Unternehmen setzten ebenfalls auf etablierte Blockchain-Ökosysteme und erweitern diese anwendungsspezifische Tools und APIs mit oft ungewöhnlichen Alleinstellungsmerkmalen.

Dragonchain, ein Unternehmen der Disney-Gruppe, bietet beispielsweise BaaS-Dienste zum Schutz von unternehmenskritischen Vermögenswerten und Daten.

Die hybride Architektur von Dragonchain vereint handverlesene Aspekte einer öffentlichen und einer privaten Blockchain. Für Unternehmen soll es dadurch möglich sein, die Kontrolle über ihre Daten und ihre sensible Geschäftslogik nicht aus der Hand zu geben. (Viele Blockchain-Nachzügler nennen ja als primären Grund für das Aussitzen der Blockchainerisierung die berechtigte Angst vor dem Kontrollverlust.)

Proprietäre Blockchain-Technologie von Dragonchain soll die Interoperabilität mit Blockchains anderer Akteure gewährleisten, zum Beispiel mit privaten Ethereum-Blockchains. Benutzer von Dragonchain können Informationen aus ihrer Dragonchain-Umgebung auch gegenüber öffentlichen Blockchains nur selektiv verfügbar machen.

Um die Akzeptanz der Plattform zu erhöhen möchte Dragonchain Kopfgelder für Bugfixes, Interoperabilitätslösungen und andere Verbesserungsvorschläge ausschreiben. Interchain-Prämien sollen anderen Blockchain-Plattformen und Entwicklern Anreize bieten, zwischen Dragonchain und anderen Blockchains Brücken der Interoperabilität zu bauen. Heute gibt es bereits Interchains für Bitcoin, Ethereum, Ethereum Classic, Private Ethereum, NEO und andere.

Auch „alleinstehende“ BaaS-Nischenanbieter wie Factom oder Skuchain wollen gegenüber den Schwergewichten mit zweckgerechten, anwendungsfall­optimierten Tools und APIs trumpfen.

Factom und Cryptowerk haben sich für ihre BaaS-Dienste zum Ziel gesetzt, Unternehmen zu helfen, wichtige Dokumente fälschungssicher zu digitalisieren. Skuchain bietet eine nahezu schlüsselfertige BaaS-Plattform für die Logistik, die sich in bestehende Geschäftsprozesse „hineinklinken“ kann. Die BaaS-Plattform von Clovyr soll Unternehmen helfen, ihre Produktentwicklung effizienter zu gestalten.

Die Nutzungsszenarien sind nahezu so vielfältig wie die Anforderungen der verschiedenen Wirtschaftszweige.

Klein, aber fein

Die Fähigkeit eines Unternehmens zur „Blockchainerisierung“ seiner Geschäftsprozesse kann wohl kaum ausschließlich an der Firmengröße liegen. Sonst würde es in der Blockchain-Szene keine Startups geben. Denn viele Pioniere neuer Anwendungsszenarien sind Kleinstunternehmen im wahrsten Sinne.

„(...) wir haben auch sehr viele kleinere, innovative Startups und Dienstleister [in Deutschland], die eben rund um Blockchain ihre Use Cases bauen und das Ganze auch technologisch weiterentwickeln,“ so ein Teilnehmer der Bitkom-Umfrage.

Der Mittelstand ist im Großen und Ganzen noch nicht mit von der Partie. Woran kann es denn liegen? Tarnt sich denn möglicherweise ein akuter Fachkräftemangel in gängigen Umfragen als “fehlende Use-Cases”? Die kryptografisch abgesicherte Aufzeichnung von Geschäftsabläufen, deutlich geringere Betriebskosten und Interoperabilität mit Blockchain-gestützten Wertschöpfungsketten sind denn keine?

Die Umsetzung neuartiger Anwendungsszenarien auf der Basis einer jeden neuen Technologie braucht von vorne herein gewisse grundlegende Kompetenzen. Das hat wohl kaum etwas mit der Unternehmensgröße zu tun, sondern eher mit dem Schwerpunkt der Aufmerksamkeit der Chefetage.

Gerade in Deutschland, so die Stimme aus der Bitkom-Studie, gebe es „eine hohe Spannbreite zwischen sehr wenigen, sehr großen Unternehmen, die das mehr als Infrastruktur-, Plattformthema sehen, und einer vitalen Community (...) die das Thema [Blockchain] eben weitertreibt und weiterdenkt.“ Im Mittelfeld liegen offenbar die Nachzügler.

Was sich beim Fußball bewährt hat, trifft auch auf die digitale Transformation zu: Wer dem Spiel nicht von der Reservebank tatenlos zusehen möchte, muss sich demnächst beim Training mehr ins Zeug legen. BaaS-Dienste bieten hierzu die nötigen Voraussetzungen, um mit einer vergleichsweise geringen Kapitalbindung und einem minimalen Risiko eigene Kompetenzen aufzubauen.

Fazit

BaaS-Lösungen zielen darauf ab, akute Schmerzpunkte des Mittelstands zu beheben: die beschränkte Verfügbarkeit von Investitionskapital und die Herausforderungen breitgefächerter Talentsuche in hochspezialisierten Berufsfeldern.

BaaS-Dienste im Pay-as-you-Go-Modell reduzieren betriebliche Risiken und wirken der Entstehung von Kapitalengpässen entgegen. Die „Managed“-Natur von BaaS kann dazu beitragen, administrative Kosten zu senken und den Fachkräftemangel bei nicht-unternehmenskritischen Kompetenzschwerpunkten zu entschärfen.

Zu den größten Schwachpunkten von BaaS zählt ein hohes Risiko von Vendor-Lock-In an den jeweiligen Dienstanbieter. Nur hauseigene Blockchain-Kompetenzen und ein hohes Bewusstsein um die Bedeutung der Plattformsouveränität können die nötige Unabhängigkeit sichern. BaaS ist somit nicht ein Allheilmittel für strukturelle Probleme des Mittelstands, sondern ein besonders handliches Werkzeug.

Über die Autoren: Anna Kobylinska und Filipe Pereira Martins arbeiten für McKinley Denali Inc. (USA).

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