Contributor License Agreements in Open-Source-Projekten Audacity – Gefahr durch neue Lizenzvereinbarungen?

Von Mirco Lang

CLAs sollen Projekte und Communities einen. Sie können aber auch spalten, wie es sich derzeit beim Open-Source-Projekt Audacity abzeichnet.

Einigen Ideen der Audacity Community könnten aufgrund von Lizenzänderungen der Stecker gezogen werden.
Einigen Ideen der Audacity Community könnten aufgrund von Lizenzänderungen der Stecker gezogen werden.
(Bild: ColiN00B / Pixabay)

Viele größere Open-Source-Projekte vertrauen auf ein Contributor License Agreement (CLA). Über CLAs können Entwickler und sonstige zum Projekt Beitragende verpflichtet werden, Rechte an das Projekt beziehungsweise dessen Leitung abzugeben oder weitgehende Rechte für den lizenzrechtlichen Umgang einzuräumen.

Eigentlich sollen CLAs Projekteigner vor allem absichern und in die Lage versetzen, das Produkt ohne Einschränkungen distribuieren zu können. Grundsätzlich eine gute Idee. Aber in der Praxis können CLAs massiven Unmut hervorrufen, insbesondere, wenn sie nachträglich in langjährig bestehenden Projekten eingeführt werden – so derzeit bei Audacity zu beobachten, das jetzt zur Muse Group gehört.

Audacity existiert bereits seit 2000 und steht seit jeher unter der GPLv2. Im April dieses Jahres wurde nun bekannt, dass Audacity von der Muse Group [https://mu.se/about] akquiriert wurde. Die Muse Group ist aus dem Programm „Ultimate Guitar“ hervorgegangen, das 1998 veröffentlicht wurde. Es folgten weitere Tools und Projekte, 2017 wurde dann das freie Notensatzprogramm MuseScore akquiriert.

All diese Aktivitäten resultierten in der Gründung der Muse Group im Jahr 2020. Und seit März 2021 gehört eben auch ganz offiziell die Marke Audacity der in Zypern gemeldeten MuseCY SM Ltd. dazu. Verantwortlich für Audacity ist mittlerweile Martin Keary, besser bekannt als Youtuber Tantacrul, der auch ein entsprechendes Info-Video auf seinem Kanal veröffentlicht hat – in dem übrigens auch einige der bisherigen Hauptverantwortlichen Audacity-Mitglieder zu Wort kommen.

Die Muse Group hat recht schnell den Unmut einiger Teile der Community auf sich gezogen, auch abseits der Lizenzvereinbarungen: Über einen Pull Request wurden Pläne bekannt, Audacity um Telemetriedaten zu erweitern, wie es 2019 auch beim akquirierten MuseScore gehandhabt wurde. Diese sollten mit Google und/oder Yandex umgesetzt werden.

Offenbar hatte die Gruppe unterschätzt, dass Teile der Open-Source-Community mit derlei Anliegen massiv auf Kriegsfuß stehen. Nach heftigen Diskussionen wurde der Pull Request modifiziert. Eine Kommunikation mit Google/Yandex soll vermutlich nicht mehr stattfinden, der Vorgang wurde transparenter gemacht – und dennoch wird im offiziellen Diskussions-Thread zu Audacity auf GitHub viel darüber diskutiert.

Das Contributor License Agreement

Schlimmer sieht es aber beim CLA aus. Dessen Wortlaut, einen FAQ und die Diskussion finden Sie im GitHub-Post von Daniel Ray, Head of Strategy der Muse Group. Der wesentliche Punkt ist folgender:

You grant MUSECY SM LTD, an affiliate of MuseScore and Ultimate Guitar, („Company“) the ability to use the Contributions in any way. You hereby grant to Company a perpetual, non-exclusive, worldwide, fully paid-up, royalty free, irrevocable copyright license to reproduce, prepare derivative works of, publicly display, publicly perform, sublicense, and distribute your Contribution and such derivative works.

Kurz gesagt: Die Muse Group kann mit Audacity im Grunde machen, was sie will. Zunächst geht es bezüglich der Lizenz vor allem um ein „Update“ von GPLv2 auf GPLv3, um Kompatibilität zu einigen neueren Produkten herzustellen, insbesondere VST3, also Sound-Plug-ins, und dem hauseigenen MuseScore.

Ganz wichtig: Hier werden keinerlei Rechte übertragen, jeder behält die Rechte an seinen Beiträgen und kann diese entsprechend nutzen. Das Unterzeichnen des CLA ist obligatorisch, andernfalls würden die Beiträge der Mitglieder aus dem Projekt fallen.

Im FAQ wird eindeutig gesagt, dass nicht geplant ist, eine Bezahlversion von Audacity zu kreieren und dass Audacity Open Source bleiben wird. Angekündigt werden zudem optionale, kostenpflichtige Cloud-Services, die für die zukünftige Finanzierung der Audacity-Entwicklung sorgen sollen – ähnliche, wie es MuseScore.com für MuseScrore erledigt. Auch für die Verbreitung von Audacity via Apple-Store sei das CLA nötig, da dieser keine GPL-Software erlaube.

Die Sicht und Darstellung seitens Muse Group, Martin Keary und Daniel Ray ist klar: Audacity ist – optisch – ein wenig in die Jahre gekommen, wurde durch die Community von Freiwilligen nicht in dem Tempo entwickelt, das angemessen wäre und kann nun „supercharged“ werden, wie Keary sich ausdrückt. Und dafür sei eben das CLA nötig. In Kearys Worten:

The CLA is a mechanism that allows Muse to find ways to make income, which then funds the rapid development of Audacity.

Öffentlicher Widerstand

Hier regt sich an mehreren Stellen Widerstand in der Community. So geht es etwa schon um den Umgang mit dem CLA und der Kommunikation. Einerseits wird etwa von Projektleiter Keary eingeworfen, das CLA solle zunächst Stimmen aus der Community einfangen. Andererseits wurde die Community vor vollendete Tatsachen gestellt – das CLA wurde nicht etwa als zu diskutierender Draft vor der Inkraftsetzung in die Community gereicht.

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Vor allem aber geht es um die Möglichkeit der Umlizenzierung. Gegen ein „Update“ auf die GPLv3 kommen noch wenige Stimmen auf, doch die reine Möglichkeit, kommerziell lizenzierte Audacity-Varianten auf den Markt zu bringen, trotz aller FAQ-Beteuerungen, bringt spürbaren Gegenwind. Auch das Argument des App-Stores zieht dort nicht richtig.

Über Ausnahmeregelungen in der Lizenzierung wäre es durchaus möglich, Audacity auch mit der GPL über den Store zu vertreiben. Zumal Ray auch selbst schreibt: „The CLA also allows us to use the code in other products that may not be open source …“ Spätestens an diesem Punkt ist in der Tat Vorsicht angesagt.

Die GPL ist eine Copyleft-Lizenz und der Sinn dahinter ist klar und eindeutig, dass freier Code frei bleibt und nicht in proprietäre Software einfließt. Abermals ein Zitat aus dem FAQ, das dieser Philosophie nicht unbedingt Rechnung trägt:

It also enables us to change the project license in the future, should the need arise.

Muse nennt als Beispiel in der Folge zwar nur permissive (Open-Source-)Lizenzen und die GPLv3, beschränkt es aber nicht ausdrücklich auf derlei Ziele. Letztlich gibt es allgemein Kritik am Open-Source-Verständnis von Muse – insbesondere Keary, der mit seiner großen Reichweite auf YouTube (253.000 Abonnenten) maßgeblich für die Rezeption in der Öffentlichkeit sorgen dürfte, wird für diverse Aussagen harsch kritisiert.

Und die Realität?

Nun gibt Muse an, dass rund 90 Prozent der Audacity-Entwickler das CLA unterschrieben hätten. Und der Großteil der verbleibenden Kontributoren habe lediglich kleine Beiträge bis hin zu einzelnen Zeilen geleistet, die im Zuge der Entwicklung eben umgeschrieben würden. Zwar erntet Muse auch hier Kritik für den Umgang mit Community-Mitgliedern, aber in der Tat gibt es sehr viele Beiträge, die aus winzigen Änderungen bestehen – bis hin zu einem User mit genau einem Commit, der in einer If-Abfrage das Wort „DEFINED“ ergänzt hat.

Am Ende bleibt jedoch die Frage, ob das nicht etwas kurz gedacht ist. Beispielsweise hat sich der GitHub-Nutzer Cleber kürzlich zu Wort gemeldet, der nach eigenen Angaben seit rund 20 Jahren an der brasilianischen Übersetzung mitarbeitet, der ersten vollständigen Non-English-Version von Audacity. Nun steuert dessen Übersetzungsgruppe nicht direkt via GitHub-Commit bei, sondern verschickt Beiträge via Mail an die Entwickler, die das Committen übernehmen.

Cleber sagt ganz klar: „I did not sign the CLA and I'll never will. Period. […] I'll keep my work under GPL2+ and I'll ask all the translators to do the same.“ Die Folge? Wenn in diesem Falle Cleber nicht einwilligt und Muse nicht zurückzieht, wird die Übersetzung aus dem Projekt entfernt und muss komplett neu geschrieben werden. Und das gilt freilich auch für jegliche andere Beiträge.

Beide Seiten gehen hier ein Risiko ein: Nicht unterzeichnende Kontributoren riskieren, dass ihre Arbeit schlicht im Nirwana verschwindet, beziehungsweise in modifizierter Version und ohne Anerkennung zurück ins Projekt findet. Muse riskiert, dass Audacity geforkt wird und der Fork als populäreres Produkt überlebt – man nehme LibreOffice als Beispiel.

Eine wirkliche Einordnung der gesamten Situation ist schwierig. Natürlich könnte Audacity von einer kommerziellen Unterfütterung profitieren und die Absichtserklärungen der Muse Group klingen zunächst gut – aber freilich handelt es sich ganz klar um Marketing und Unternehmenskommunikation muss immer äußerst skeptisch betrachtet werden.

Bindend ist nichts von Muses Erklärungen und Beschwichtigungen, allein die via CLA erworbenen Rechte sind es. Sofern tatsächlich 90 Prozent der Kontributoren unterschrieben haben, darunter alle „wichtigeren“, dürfte sich das Thema Fork jedenfalls erledigt haben.

Was die Zukunft bringt, kann man nur vermuten. Schaut man sich das Geschäftsmodell der Muse Group an und ebenso viele weitere kommerziell unterstützte/betriebene Open-Source-Projekte, muss man wohl von kostenpflichtigen Add-ons und Dienstleistungen ausgehen und nicht freie „Premium“-Varianten oder dergleichen erwarten.

Eines jedenfalls dürfte klar sein: Die Muse Group ist ein kommerzielles Unterfangen und nicht Treiber einer Philosophie freier Software. Das kann zu besseren Features bei Audacity führen, wird aber einen etwas faden Beigeschmack behalten, denn im Sinne der GPL ist dieses CLA eher nicht. Die eine Sichtweise wird es hier nicht geben, aber wie eingangs erwähnt: CLAs sollen vereinen, können aber auch spalten.

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