Airtable – No-Code in Aktion

Von Mirco Lang |

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Ist wirklich jeder ein Entwickler oder eine Entwicklerin? No-Code will es möglich machen, wir wagen die Probe aufs Exempel mit dem etablierten Airtable.

Eine Airtable-App in Checkmk.
Eine Airtable-App in Checkmk.
(Bild: Lang / Airtable)

Themen im Bereich Development kann man sich immer wunderbar über Buzzwords nähern: No-Code und Low-Code, Visual Programming, Citizen Developer – und schaut man weiter zurück, landet man eigentlich beim altbekannten WYSIWYG-Editor.

Grafische Benutzeroberflächen werden seit Jahrzehnten über eigene Designer in oder neben IDEs erstellt, schon in den 90ern wurden Website-Layouts etwa zunehmend mit Dreamweaver statt mit manuellem HTML-Code gebaut. Auch wenn es heute kaum unter dem Schlagwort No-Code auftauchen wird, trifft es den Kern der Sache: Man muss keinen Code beherrschen, um eine statische Website zu bauen – und selbst dynamische Seiten mit Datenbankanbindung waren mit Dreamweaver & Co. möglich, sogar für ambitionierte Laien.

No-Code ist ein wenig das WYSIWYG der 2020er. Statt ambitionierter Laien gibt es den Citizen Developer, statt Webseiten gibt es Apps und statt nur Design lässt sich auch Programmlogik ohne Coding-Fähigkeiten erstellen. Dabei ist die Bandbreite entsprechender Plattformen groß.

In der WYSIWYG-Welt gab es simple Website-Baukästen mit sehr beschränkten Möglichkeiten und eben Dreamweaver als professionelle Web-IDE. In der No-Code-Welt sieht es wieder ähnlich aus: Puzzle-Systeme wie Microsoft MakeCode haben einen ziemlich engen Scope, Plattformen wie Betty Blocks sind fast völlig allgemein gehalten.

Airtable liegt ein wenig dazwischen und ist ein schönes Beispiel, um sich mal ganz praktisch anzuschauen, was denn hinter dem abstrakten Buzzword No-Code steckt. Zum einen besteht Airtable bereits seit 2012, steht also kaum im Verdacht ein flüchtiges Ergebnis eines Hypes zu sein. Zum anderen verfügt Airtable über ein reichhaltiges Ecosystem aus Erweiterungen, Anbindungen von Diensten.

Zwei technische Aspekte machen Airtable zudem relativ „leicht verdaubar“: Entwickelte Anwendungen finden primär als Webseiten statt und der Editor hat massive Anleihen an Excel, was dem ominösen Citizen Developer durchaus entgegenkommen dürfte. Aber keine Angst, dahinter steckt eine Datenbank, die nur aussieht wie eine Tabellenkalkulation.

Datenorientiertes Arbeiten

Grundlage für Airtable-Anwendungen sind entsprechend simple oder komplexe Datensätze, die intern erstellt, importiert oder extern angebunden werden können. Als einfaches Beispiel kann man hier Personaldaten nehmen, also beispielsweise Namen, Fähigkeiten, Verfügbarkeiten und Kontaktdaten von Mitarbeitern und Partnern. Zum Hinzufügen neuer Daten können im laufenden Betrieb zudem teilbare Formulare erzeugt werden, die allen oder nur berechtigten Nutzern Schreibzugriff gewähren.

Für die Daten stehen dann diverse Ansichten zur Verfügung: Timeline, Kanban-Board, Gantt-Diagramm, Kalender, Grid und eine schicke Galerie-Ansicht. Die Ansichten sind dabei sehr flexibel, so dass Nutzer beispielsweise Kanban-Karten sortieren oder auf- und zuklappen können. Und auch alle Ansichten sind separat teil- und einbettbar.

Über den Interface-Designer (derzeit noch Beta) lassen sich zudem komplett eigene Ansichten für die Datenbasis erstellen, beispielsweise, um für die unterschiedlichen Rollen im Unternehmen entsprechende Apps zur Verfügung zu stellen. Ob diese Ansichten/Apps dann nur Lese- oder auch Schreibzugriff gewähren, lässt sich für die einzelnen Daten individuell festlegen.

Das dritte Element im Bunde betrifft nun die Programmlogik, die bei Airtable unter Automations laufen: Hier werden schlicht und ergreifend Auslöser (Trigger) und daraus folgende Aktionen festgelegt – und wenn Ihnen dieses Wenn-Dann-Prinzip bekannt vorkommt: Die Herangehensweise ähnelt durchaus der beliebten No-Code-Plattform bzw. dem API-Verbinder IFTTT.

Als Trigger stehen etwa Dinge zur Verfügung wie „Wenn ein Datensatz hinzugefügt wird …“, „Wenn ein Google-Calendar-Event abgesagt wird …“ oder „Wenn ein Datensatz mit bestimmten Eigenschaften in der Kanban-Ansicht entsteht …“ und so weiter. Auch Webhooks als Trigger stehen zur Verfügung – und spätestens damit lässt sich im Grunde alles als Auslöser nutzen, über simple Shell-Skripte.

Auf der Actions-Seite stehen intern Aktionen wie E-Mail-Versand oder Updates zur Verfügung, über die Integrationen gibt es die üblichen Verdächtigen: Anlegen von Issues auf GitHub, Postings über die Hootsuite, Outlook-Aktionen, Tweets absenden, Slack-Nachrichten und vieles mehr.

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Zum Schluss der Theorie eine kurze Zusammenfassung: Die „Base“ ist die Grundlage für die weitere Arbeit, eine Datenbank, die über diverse Wege gefüttert werden kann: Excel-Style intern, über eigene Formulare und Ansichten, über Integrationen und letztlich über schlichte Importe von etwa CSV- oder Excel-Dateien. Diese Daten werden dann in „Views“ und „Interfaces“ (individuelle Views) präsentiert. Im Logikbereich warten „Trigger“ darauf, „Actions“ auszulösen. Insofern ist Airtable eigentlich eine recht „simple“ Angelegenheit.

Übrigens: Preislich bewegt sich Airtable von kostenlos für Kleinstprojekte über 20 USD pro Monat und Arbeitsplatz bis hin zu individuellen Vereinbarungen ohne Limits.

Praxiseinblicke

Wie aber sieht No-Code nun in der Praxis aus? Fangen wir an mit dem Bereich Base, also der Datenbasis. Airtable macht an dieser Stelle eigentlich alles richtig: Der Einstieg läuf über einen simplen Assistenten, über den Spalten samt möglicher Werte definiert werden, also zum Beispiel eine Spalte „Skills“ mit den möglichen Werten „C++“, „Python“ und „Licensing“ oder eine Spalte „Assets“ mit beliebigen Dateianhängen.

Die Grid-Ansicht mit einigen Personaldaten.
Die Grid-Ansicht mit einigen Personaldaten.
(Bild: Lang / Airtable)

Der Assistent beschränkt das Ganze auf wenige Einträge, Sinn ist eigentlich nur, am Ende in der Standard-Grid-Ansicht zu landen und dort bereits einige Daten zu sehen, was die weitere Arbeit vereinfacht. Kurz gesagt: Man landet in einer Art Excel-Ansicht und kann sich erstmal um eine (eventuelle) Datenbasis kümmern.

Ein simples Kanban-Board.
Ein simples Kanban-Board.
(Bild: Lang / Airtable)

Sobald ein paar Grunddaten stehen, kann man sich schon mal mit den Ansichten beschäftigen. Ansichten wie Kalender oder Gantt-Diagramm sind natürlich nur dann überhaupt möglich, wenn entsprechende Daten über Zeiträume und Abhängigkeiten vorhanden sind. Bei Personaldaten bietet sich freilich eine Kanban-Ansicht an:

Wie bereits erwähnt, solche Ansichten sind teilbar. Um etwas mehr App-Charakter zu haben, könnte man aus solchen Ansichten zum Beispiel ganz fix Chrome-Apps erstellen (das erledigt der Chrome-Browser selbst über „Einstellunge/Weitere Tools/Verknüpfung erstellen“). Auch das Einbetten in andere Anwendungen ist freilich möglich.

Eine Airtable-App in Checkmk.
Eine Airtable-App in Checkmk.
(Bild: Lang / Airtable)

Beispiel: Nehmen Sie einmal Ihr Monitoring-System. Wenn dort Problem auftreten, also etwa defekte Glasfaserkabel oder ein Server in Reboot-Schleife, müssen Personalressourcen aktiviert werden, um die Probleme dann auch zu lösen. Warum also nicht die via Airtable stets aktuell gehaltenen Personaldaten einbeziehen? Im vorangestellten Bild sehen Sie das obige Board als Element auf einem Dashboard der Monitoring-Lösung Checkmk.

Der Auslöser samt Bedingungen.
Der Auslöser samt Bedingungen.
(Bild: Lang / Airtable)

Nun wird es Zeit für etwas Logik – der Wunsch: Wenn ein Eintrag in der Kanban-Ansicht geändert wird, soll eine Slack-Nachricht mit ID des Eintrags und dem Namen des Team-Mitglieds verschickt werden. Dafür genügen der Trigger „When a record is updated“ (beschränkt auf die Kanban-Ansicht) und die Aktion „Slack: Send a message“.

Daten stehen als Variablen zur Verfügung.
Daten stehen als Variablen zur Verfügung.
(Bild: Lang / Airtable)

Für die Aktion stehen Ihre Datensätze als Variablen zur Verfügung, so dass die Nachricht direkt beinhalten kann, welcher Datensatz betroffen ist – und in diesem Fall zum Beispiel, welches Team-Mitglied.

Pexels-Bilder landen direkt in der Datenbank.
Pexels-Bilder landen direkt in der Datenbank.
(Bild: Lang / Airtable)

Ein Punkt ist bislang noch etwas kurz gekommen, den Sie oben rechts in der Airtable-Oberfläche sehen: Apps. Damit sind nicht Ihre Airtable-Anwendungen gemeint, sondern Integrationen. Sie finden hier etliche vorgefertigte Anwendungen von Airtable oder Dritten, die Sie in Ihr Anwendungen integrieren können – beispielsweise die Pexels-App: Darüber können Sie den Stockfoto-Anbieter Pexels durchsuchen und Bilder direkt in Datensätze als Anhang übernehmen.

Natürlich dürfen Sie auch eigene Apps/Integrationen schreiben – dann allerdings ist Schluss mit No-Code, dann geht es schnell wieder auf die Kommandozeile. Allerdings unterstützt Airtable dabei mit einer lokalen Entwicklungsumgebung und ordentlicher Einführung. Eine Liste aller Airtable-Apps finden sich auf GitHub.

Man muss sich wohl ein wenig mit Airtable beschäftigen, um zu sehen, was sich damit alles an Anwendungen entwickeln lässt. Natürlich hat auch Airtable einen gewissen Scope und ist nicht so völlig allgemeingültig wie etwa Python oder Visual Studio. Der Vorteil daran: Die Arbeit bleibt übersichtlich und dürfte in der Tat für den Citizen Developer geeignet sein.

Abseits aller Buzzwords und Trends könnte man an dieser Stelle wie zu Beginn einen Vergleich ziehen: Sie erinnern sich an die vielen „Unternehmensanwendungen“ die Manager, Praktikanten und genötigte Admins aus Access- oder gar Excel-Formularen „entwickelt“ haben? Diese Klientel würde Airtable vermutlich lieben – aber praxistaugliche Ergebnisse erzielen, die die IT nicht zur Weißglut treibt.

Auch wenn es noch viele Features gibt, die man sich bei Airtable sicherlich noch wünschen würde: Die Plattform ist ein gutes Praxisbeispiel für No-Code-Plattformen – mächtig genug, um ernst genommen zu werden, aber einfach genug, um von Nicht-Entwicklern sinnvoll genutzt werden zu können. Beim Einsatz im großen Stil werden sich dennoch Fragen ergeben: Passt es zur Compliance-Abteilung? Genügt das Ausbaupotenzial? Wie lässt es sich ins Security-Konzept einplanen? Besteht die Gefahr der Schatten-IT? Kurz: Was hält die IT-Abteilung von freilaufenden Citizen Developers?

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