Viele Solisten machen noch kein Orchester Abläufe mit Prozessorchestrierung automatisieren

Ein Gastbeitrag von Bernd Rücker * Lesedauer: 7 min |

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Die Herausforderung, Geschäftsprozesse End-to-End zu automatisieren, wird heutzutage immer größer: Die Zahl der Endpunkte steigt, die einzelnen Abläufe werden zunehmend komplexer. Um alles aufeinander abzustimmen, ist Prozessorchestrierung die Lösung.

Selbst scheinbar einfach aufgebaute Prozesse können sich in Wirklichkeit als sehr komplexe Gebilde erweisen.
Selbst scheinbar einfach aufgebaute Prozesse können sich in Wirklichkeit als sehr komplexe Gebilde erweisen.

Digitalisierte Prozesse ergänzen die menschliche Arbeitskraft, sind schneller, weniger fehleranfällig und befreien Menschen von stupiden, wiederkehrenden Aufgaben. Einfache Aufgaben oder Abläufe in Unternehmen zu automatisieren, ist oft keine allzu große Herausforderung.

Doch bei komplexen Unternehmensprozessen, die End-to-End automatisiert werden sollen und sich über mehrere Systeme und Akteure hinweg erstrecken, wird das Unterfangen kompliziert. Ein Bestellprozess in einem Online-Shop beispielsweise beginnt mit der Bestellung und endet in der Regel mit der Lieferung und Bezahlung der Rechnung (es sei denn, die Bestellung wird storniert).

In diesem vermeintlich einfachen Prozess sind bereits verschiedene Akteure, Endpunkte und ineinandergreifende Aufgaben involviert, die es zu orchestrieren gilt. Dabei sind einzelne Aufgaben in diesem Prozess vermutlich bereits automatisiert: Ein Mailserver verschickt eigenständig Bestätigungen, die Finanzbuchhaltungssoftware Rechnungen, ein Chatbot kümmert sich um Kunden mit einfachen Anliegen, Warenlisten werden automatisch aktualisiert. APIs ermöglichen die Kommunikation zwischen den Endpunkten. Und dort, wo Legacy-Software wenig Automatisierung erlaubt, hilft vielleicht Robotic Process Automation (RPA).

Werden allerdings Endpunkte auf diese Weise direkt miteinander integriert, fehlt jegliche Analysefunktion und auch die Möglichkeit, prozessübergreifend zu wirken. Es stellt sich die Frage: Wie werden alle Endpunkte koordiniert? Hier kommt Prozessorchestrierung ins Spiel: Eine Software, die wie ein Dirigent den Takt für die Solisten – in unserer Metapher die einzelnen Aufgaben – angibt und diese somit übergreifend steuern kann.

Prozessmodellierung in BPMN: Keine Symphonie ohne Notenblatt

Beispiel eines Bestellprozesses, der in BPMN modelliert wurde.
Beispiel eines Bestellprozesses, der in BPMN modelliert wurde.
(Bild: Camunda)

Bevor Unternehmen einen Geschäftsprozess orchestrieren können, müssen sie diesen natürlich designen. Hier kommen Modellierungsnotationen wie die Standardsprache BPMN zum Einsatz. Ein solches Modell kann beispielsweise so aussehen, wie im vorangestellten Bild.

Die Optik des Prozessmodells zeigt bereits, dass der Bestellprozess deutlich komplexer ist als eine lineare Abfolge von Schritten. Um die Verfügbarkeit aller bestellten Artikel zu prüfen, kommen beispielsweise parallel ablaufende Teilprozesse zum Einsatz, die wichtig sind, um den Bestellprozess zu beschleunigen. Trotzdem soll, wenn nötig, eine korrekte Stornierung durch Nachrichtenkorrelation möglich sein. Auch die zeitbasierte Eskalation nach der Rechnungsstellung, die nach einem festgelegten Zeitraum ohne Zahlungseingang eine Erinnerung sendet, ist ein Beispiel für typische Anforderungen in Prozessen.

Die visuelle Modellierung von Geschäftsprozessen bringt viele Vorteile mit sich: Wenn Fachabteilungen und Entwickler den Prozess gemeinsam modellieren, profitieren beide Seiten davon. Der Prozess wird nicht nur besser, weil die Sichtweisen und das Wissen aller Stakeholder mit einfließen können. Alle am Prozess und der Automatisierung beteiligten Gruppen wissen auch, wie der Prozess genau abläuft und welche Tools zum Einsatz kommen. Sie sprechen mit BPMN eine gemeinsame, visuelle Sprache. Zudem ebnet die Modellierung den Weg zur Orchestrierung der Prozesse in einer Workflow Engine.

Die Pain Points der Automatisierung: Prozesskomplexität und Vielfalt der Endpunkte

Je komplexer ein Geschäftsprozess ist, desto mehr profitieren Unternehmen von einer Software zur Prozessorchestrierung, die die Abläufe nicht nur übersichtlich darstellt, sondern auch innerhalb der Prozesslogik automatisiert. Diese Orchestrierungsplattform steuert sowohl Legacy Systeme als auch APIs, Microservices und SaaS-Anwendungen. Durch explizite Orchestrierungslogik wird ein Prozess deutlich sicherer und zuverlässiger ausgeführt, als es durch die reine Verknüpfung der Endpunkte über APIs möglich wäre.

Eine solche Orchestrierungsplattform hilft also, eine der größten Hürden auf dem Weg zur End-to-End-Automatisierung zu überwinden: die Vielfalt der Endpunkte. Arbeitet die Plattform zudem mit BPMN, können die so modellierten Prozesse leicht im Nachhinein bearbeitet werden. Änderungen sind beispielsweise nötig, wenn neue Datenquellen genutzt werden sollen oder aufgrund rechtlicher Vorgaben eine zusätzliche Freigabe erforderlich ist.

Workflow Engines, die ein Bestandteil der Orchestrierungsplattform sind, verfügen über sogenannte Konnektoren, die verschiedene Endpunkte in den Prozess integrieren. Mit ihnen lassen sich die Eingaben und Ausgaben von Tasks direkt im Prozessmodell festlegen. Im obigen Beispiel ist die Aufgabe „Rechnung zustellen“ ein klassisches Einsatzgebiet für einen Konnektor – der Mailserver kümmert sich automatisch um die Einzelheiten des E-Mail-Versandes und wird hierfür vom Process Orchestrator angesteuert.

Unternehmen können mit der Prozessorchestrierung also komplexe Prozesse koordinieren und hierbei auch vielfältige Endpunkte einbeziehen. Durch leicht zu lesende BPMN-Flussdiagramme ist die Ansicht so übersichtlich und verständlich, dass nicht nur Experten, sondern Vertreter aller Abteilungen des Unternehmens in die Automatisierung der Prozesse eingebunden werden können.

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Optimierung durch Orchestrierung

Darüber hinaus lassen sich Geschäftsprozesse in der Orchestrierungs-Software mit Mitteln wie Heatmaps analysieren und optimieren, um beispielsweise Engpässe und andere Ineffizienzen zu identifizieren. Auf der kleinen Skala sind die Auswirkungen einer Engstelle vielleicht nicht so groß. Steigt aber die Anzahl der Prozessinstanzen, kann ein Problem an einer Stelle im Prozess den entscheidenden Unterschied machen. Daher ist es wichtig, zu wissen, welche Prozesse am häufigsten aufgerufen werden, wo die meisten und größten Verzögerungen entstehen oder wann und wo die Fehlerraten steigen.

Bernd Rücker
Bernd Rücker
(Bild: Camunda)

Die meisten automatisierten Geschäftsprozesse sind von der Zusammenarbeit mehrerer unterschiedlicher Endpunkte abhängig und müssen trotz wachsender Komplexität dynamisch bleiben. Einzelne Aufgaben zu automatisieren ist nur der Anfang – um das Potenzial der digitalen Transformation voll und ganz auszuschöpfen, müssen diese Endpunkte auch automatisch koordiniert werden. Mit Prozessorchestrierung als Dirigent der Prozess-Solisten wird diese Aufgabe machbar – und bleibt zudem übersichtlich.

Bernd Rücker im Kurzinterview mit Dev-Insider

Dev-Insider: Herr Rücker, in Ihrem Gastbeitrag zur Prozessorchestrierung haben Sie bereits erwähnt, dass es mitunter sehr komplexe Prozessketten mit vielen beteiligten Endpunkten gibt. Wie sehr und mit welchen Konsequenzen hat sich die Lage in den vergangenen Jahren durch verteilte Anwendungen und API-Wildwuchs noch verschärft?

Bernd Rücker: Es wird heute immer weniger monolithische Software eingesetzt. Die Zeiten, in denen einfach ein SAP System alle wichtigen Geschäftsprozesse umfasst hat, sind definitiv vorbei. Stattdessen setzen Unternehmen vermehrt auf Best of Breed und entwickeln entweder selbst verteilte Anwendungen oder Microservices, setzen aber vermehrt auch bestehende Cloud Services und Standardsoftware ein. Dies erlaubt Ihnen die aktuellen technischen Möglichkeiten auszuschöpfen und ist immens wichtig, um konkurrenzfähig zu sein und eine geeignete Customer Experience zu bieten.

Aber natürlich ist es umso schwieriger, die verschiedenen Endpunkte zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Und wenn für verschiedene Aufgaben verschiedene Softwaresysteme, Dienste und Technologien zum Einsatz kommen, ist natürlich eine universelle Orchestrierungslösung gefragt, um diesen Wildwuchs zu beherrschen.

Ohne integrierte Prozessautomatisierung fehlt einfach der Überblick und bei Problemen kann es ewig dauern, bis Schwachstellen identifiziert sind. Eine Orchestrierungsplattform bietet die entsprechenden Analysemöglichkeiten.

Dev-Insider: RPA wurde ja bereits mit dem Anspruch entwickelt, bestimmte wiederkehrende Prozesse effizienter zu managen. Wo stoßen diese Systeme an ihre Grenzen?

Bernd Rücker: RPA eignet sich sehr gut, um einzelne, wiederkehrende Aufgaben zu automatisieren, die vorher von einem Menschen ausgeführt wurden. Doch mit der Komplexität der Prozesse steigt auch die Anzahl der eingesetzten Roboter, die dann vielleicht auch noch miteinander kommunizieren müssen, um einen Prozess zu automatisieren. Dafür sind RPA Systeme aber nicht ausgelegt und die Situation wird schnell unübersichtlich. Ein großer Kunde von uns sprach hier zum Beispiel von „Spaghetti-Bots“.

Darüber hinaus sind RPA Tools typischerweise nicht in der Lage, Systeme über echte APIs anzubinden oder komplexe Workflows abzubilden (als Beispiele in diesem Artikel haben wir parallellaufende Teilprozesse, Nachrichtenkorrelation oder zeitbasierte Eskalation genannt). Daher gibt es zusätzlich zu RPA Orchestrierungslösungen, die dann auch RPA Bots nahtlos in die automatisierten Prozesse integrieren können.

Eine typische RPA Modernisierung sieht so aus: Es wird zusätzlich zu den Bots ein Orchestrator eingesetzt, der die einzelnen Bots koordiniert. Damit verschaffen sich Unternehmen sofort einen Überblick über Ihre Prozesse und können sie analysieren und überwachen. In diese Prozesse lassen sich neben Bots natürlich auch Systeme mit APIs oder Menschen einbinden. Das erlaubt es dann auch einfach, RPA Bots schrittweise durch APIs oder Microservices zu ersetzen.

Dev-Insider: Mit BPMN, der Business Process Model and Notation, empfehlen Sie eine lange gewachsene und etablierte Sprache zur Prozessmodellierung. „Etabliert“ heißt aber nicht unbedingt „auf der Höhe der Zeit“. Was macht die Sprache auch heute noch unentbehrlich und wo gibt es möglicherweise Verbesserungspotenzial?

Bernd Rücker: Einer der größten Vorteile von BPMN ist, dass sie ein offener Standard ist, verwaltet und aktualisiert durch das internationale Konsortium Object Management Group (OMG). Sie wird bereits in zahlreichen Unternehmen eingesetzt, in vielen Softwareprodukten unterstützt, an Universitäten und Hochschulen gelehrt und ist nicht abhängig von einem Hersteller oder Anbieter.

BPMN ist so intuitiv gestaltet, dass sie schnell zu erlernen ist, und so zum Beispiel bei der Kollaboration zwischen Fachabteilungen und Entwicklern hilft. Gleichzeitig ist sie mächtig genug, um auch komplexe Prozesse sehr präzise zu modellieren und unterstützt auch komplexe Workflow-Muster. Da BPMN schon mit jahrelanger Erfahrung mit anderen Modellierungssprachen im Rücken definiert wurde, ist es nach wie vor der beste und ausgereifteste Standard auf dem Markt.

Echte Schwächen gibt es wenige, auch wenn es immer wieder Puristen gibt, die z.B. XML – das Dateiformat hinter BPMN – als zu kompliziert ansehen. In der Praxis hat sich das allerdings nie bewahrheitet, daher gibt es auch keinen Druck, in der Industrie etwas Neues zu entwickeln.

* Bernd Rücker ist Mitgründer und Chief Technologist von Camunda, einem Anbieter von Software zur Prozessorchestrierung. Als passionierter Softwareentwickler hat er die Prozessautomatisierung von Unternehmen wie Allianz, Deutsche Bahn oder Deutsche Telekom unterstützt. Bernd ist zudem der Autor von „Practical Process Automation“ und Co-Autor des „Praxishandbuch BPMN“.

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